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DURCH ZUFALL ZUM TISCHTENNIS

Para Tischtennis: Stephanie Grebe peilt ihre dritte Paralympics-Teilnahme an – und will auch bei den Europameisterschaften eine Medaille gewinnen - DBS - Text: Sonja Scholten

FRECHEN. 2016 erlebte Para Tischtennisspielerin Stephanie Grebe den bisher größten Moment ihrer Karriere: Bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro spielte sie sich bis ins Finale vor und gewann hinter der großen Favoritin Sandra Paovic aus Kroatien Silber. Eigentlich nur durch einen Zufall zum Para Tischtennis gekommen, hat die heute 31-Jährige nun die Qualifikation zu ihren dritten Paralympischen Spielen fest im Visier – und will zuvor bei der EM in Helsingborg vom 16. bis 21. September eine Medaille gewinnen.

1987 in Berlin geboren, fehlten Grebe, genannt Steffi, von Geburt an beide Hände und der rechte Unterschenkel. Doch die Behinderung stand in ihrem Leben nie im Vordergrund. „Ich hatte eine sehr behütete Kindheit“, erzählt sie, „habe einen ganz normalen Kindergarten, die Grundschule und hinterher das Gymnasium besucht, hatte dort meine Freunde.“

Wie wenig sich Grebe schon in ihrer Kindheit von ihrer Behinderung bremsen ließ, zeigt auch, dass es sie sportlich zunächst auf den Fußballplatz zog. Als sie jedoch in einer reinen Mädchenmannschaft gemeldet werden sollte, schaute sie sich nach Alternativen um. Tischtennis schaffte es allerdings immer noch nicht in ihren Fokus – Karate sollte es sein. Die Kampfsportart mit einer Prothese auszuüben, war allerdings erstens nicht ungefährlich und zweitens auch recht unpraktisch. Was für ein Glück, dass das sportbegeisterte Mädchen mit zwölf Jahren im Urlaub in Griechenland den Tischtennistisch entdeckte.

Nach dem Griechenlandurlaub im Tischtennis-Verein angemeldet

Dort fiel ihr Talent für den schnellen Rückschlagsport sehr schnell auf und das, obwohl sie den Schläger mit beiden Armen halten musste und so eine sehr eingeschränkte Reichweite hatte. Also meldete sich Grebe nach der Rückkehr aus dem Urlaub beim Traditionsverein 3B Berlin an. Dort wurde schließlich auch Christian Bode auf das Talent mit Handicap aufmerksam. Bode gehörte dem Tischtennis-Trainerstab des Deutschen Behindertensportverbands an – und so hatte Grebe im Jahr 2000 ihren ersten Auftritt im Para Tischtennis.

Als ihre Eltern sich im Jahr 2005 trennten, zog Grebe mit ihrem Vater in den Norden in die Nähe von Hamburg zu seiner neuen Frau Britta und ihrem Sohn Tim-Justin. Dort machte sie ihr Abitur und fühlt sich mittlerweile als echtes Nordlicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, hier wieder wegzugehen und zurück nach Berlin zu ziehen“, meint sie. „Hier oben ist meine Familie und meine Heimat.“

2005 brachte neben diesen privaten Veränderungen auch einen sportlichen Fortschritt: Gemeinsam mit ihrem Orthopädietechniker entwickelte Grebe eine Prothese, mit der sie den Schläger an ihrem rechten Schlagarm befestigen konnte. Nun musste sie nicht mehr beidarmig spielen und hatte urplötzlich eine ganz andere Reichweite – ihre Karriere im Para Tischtennis bekam Aufschwung und sie entwickelte Ehrgeiz. Bei den German Open hatte sie 2009 ihren ersten internationalen Auftritt und gewann schließlich 2012 bei den French Open ihre erste Goldmedaille im Einzel. Sie kletterte in der Weltrangliste und schaffte als einzige Frau in der deutschen Para Tischtennis-Delegation die Qualifikation zu den Spielen in London. Dort musste sie sich mit dem vierten Platz zufriedengeben – ein tolles Ergebnis für die Paralympics-Premiere. Doch wer die junge Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt kennt, weiß, dass nun ihr Ehrgeiz erst recht angestachelt war.

Mit kühlem Kopf und Lockerheit gelang der Einzug ins Paralympics-Finale

Während Grebe privat nach ihrer Ausbildung bei der Bundesagentur für Arbeit nun ihr Studium in Sozialökonomie mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Arbeitsrecht vorantrieb, arbeitete sie nebenbei stetig an ihrem nächsten großen Ziel: den Paralympics 2016 in Rio. Dort rief sie mit 28 Jahren schließlich all das ab, was sie zu einer außergewöhnlichen Sportlerin macht: Mit absolutem Fokus und doch mit der nötigen Lockerheit sowie der ihr eigenen Spielfreude gewann sie Match um Match, behielt in engen Situationen einen kühlen Kopf und stand plötzlich im Finale. Dort war die ehemalige Profispielerin Paovic aus Kroatien dann zwar noch eine Nummer zu groß, doch Grebe gewann Paralympics-Silber.

Mittlerweile steht Tokio 2020 vor der Tür. Auf dem Weg dorthin finden die Europameisterschaften im schwedischen Helsingborg statt, wofür Grebe von Bundestrainer Volker Ziegler nominiert wurde. Die Kontinentalmeister qualifizieren sich direkt für die Paralympischen Spiele. In Grebes Wettkampfklasse 6 haben außerdem die beiden höchstplatzierten Spielerinnen in der Märzweltrangliste 2020 ihren Platz sicher, die noch nicht anderweitig qualifiziert sind. Momentan ist die Hamburgerin die Nummer vier der Welt – „noch ganz okay“, wie sie sagt. Mit einer guten Europameisterschaft möchte sie gerne noch um einen oder zwei Plätze nach oben klettern. Bemerkenswert: Von den ersten zehn Spielerinnen der Weltrangliste kommen alle aus Europa, bis auf die fünftplatzierte Koreanerin Lee KunWoo.

Bestens vorbereitet nach Schweden: „Ich möchte eine gute EM spielen“

Die Ausgangslage für die EM ist vielversprechend. Bei ihren bisherigen internationalen Auftritten in diesem Jahr überzeugte Grebe mit starken Leistungen – zweimal Silber, einmal Bronze. Das dürfte auch bei der Konkurrenz nicht unbemerkt geblieben sein. Nach dem Karriereende von Paovic hat momentan die Ukrainerin Maryna Lytovchenko die Führung in der Weltrangliste übernommen – die in Rio Bronze hinter Grebe gewann. Hinter Lytovchenko lauern die beiden Russinnen Raisa Chebanika und Maliak Alieva. Doch Grebe ist gut in Form und mit ihrer kämpferischen Art am Tisch für alle Gegnerinnen gefährlich.

Seit einigen Monaten spielt sie für den PSC Berlin und trainiert dort regelmäßig unter Eric Duduc. Der Franzose ist bereits seit einigen Jahren Teil des Trainerteams von Bundestrainer Volker Ziegler und „es funktioniert einfach gut zwischen Eric und mir“, sagt Grebe. „Wir haben jetzt viel zusammen für die EM gearbeitet.“ Doch auch wenn sie in der Heimat in Uetersen ist, kommt Grebe auf vier Trainingseinheiten in der Woche. Diese absolviert sie meist mit ihrem Hamburger Heimtrainer Simon Moschall.

„Ich möchte jetzt einfach eine gute EM spielen“, formuliert die Weltranglistenvierte, die dem Top Team des Deutschen Behindertensportverbandes angehört, ihre Ziele und fügt an: „Natürlich will ich möglichst eine Medaille gewinnen.“ Die Europameisterschaften sind für Grebe nur ein Zwischenziel auf dem Weg nach Tokio. „Ich möchte mich möglichst sicher qualifizieren und nicht noch zittern bis kurz vor Ende der Qualifikationsphase, das ist echt das Schlimmste für einen Sportler.“

Angriff bei den Spielen 2020: „In Tokio gehe ich aufs Ganze“

Und bei den Spielen 2020 will sie dann richtig angreifen. „In Tokio gehe ich aufs Ganze. Nachdem ich das Glück hatte, in Rio Silber zu gewinnen, ist der Ansporn nach oben schon groß“, verrät sie. „Aber ich setze mich auch nicht unter Druck. Ich habe im Moment einfach Spaß, spiele und es läuft.“ Mit dieser Lockerheit bringt Grebe auch Sport, Beruf und Privatleben unter einen Hut. Seit sie 2014 ihr Studium abschloss, ist Grebe als Arbeitsvermittlerin für die Bundesagentur für Arbeit tätig – und profitiert dort von einer Arbeitszeitverkürzung. Auch das ermöglicht es ihr, für die erste Damenmannschaft des Mooreger SV zu spielen.

„Zum Abschalten brauche ich nur meine Familie, meine Freunde und meine Tiere“, sagt Grebe. Sie wohnt nicht weit von ihren Eltern zusammen mit den Katzen Pünktchen und Pauli – die zu zweit sind, da ihre Besitzerin so oft unterwegs ist. Wer Stephanie Grebe trifft, vergisst schnell, dass ihr beide Hände und der rechte Unterschenkel fehlen. Sie tritt mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Gelassenheit auf, dass ihre angeborene Behinderung in den Hintergrund rückt. Diese ist ein Teil von ihr – macht sie aber nicht aus. Dafür andere Dinge: ihr Talent, ihre Geradlinigkeit und ihr Humor, der genauso staubtrocken einschlägt, wie ihre Vorhand. Beispiel gefällig? Eine ihrer Lieblingsredensarten: „Ohne Arme keine Kekse“ – doch die Para Tischtennisspielerin beweist, dass es völliger Quatsch ist.

Meilenstein auf dem Weg nach Tokio
Für viele der Athletinnen und Athleten von Bundestrainer Volker Ziegler geht es bei den Para Tischtennis-Europameisterschaften im schwedischen Helsingborg um einiges: Der kontinentale Meister ist für die Paralympischen Spiele qualifiziert, mit einer guten Platzierung bei den Wettkämpfen vom 16. bis 21. September sammelt man wichtige Weltranglistenpunkte im Qualifikationsprozess.

Gerade in der Wettkampfklasse 3 ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der direkte Platz für Tokio nach Deutschland geht – immerhin sind mit Thomas Schmidberger und Thomas Brüchle zwei Deutsche unter den Top fünf der Welt sowie mit Jan Gürtler ein weiterer unter den Top 20. Bei der EM 2015, im Vorfeld der Paralympischen Spiele von Rio, gelang Thomas Brüchle der Coup, sich gegen seinen als Favorit gehandelten Teamkollegen Schmidberger durchzusetzen. Auch 2011 beendete Brüchle Schmidbergers Hoffnungen im Halbfinale der EM – kurioserweise die einzigen beiden Niederlagen, die er Schmidberger auf internationalem Parkett zufügen konnte. Umso motivierter wird dieser nun sein, seiner Setzung in Helsingborg gerecht zu werden und sich den Titel sowie den Startplatz für Tokio zu schnappen.

Hoffnungen auf das direkte Ticket zu den Paralympics kann sich auch Valentin Baus machen. Der Bochumer ist in der WK 5 hinter Tommy Urhaug aus Norwegen ebenso an Position zwei gesetzt wie wie Sandra Mikolaschek, die bei den Damen der WK 4 aus Europa nur Borislava Peric-Rankovic (SRB) in der aktuellen Weltrangliste vor sich hat. Auch Stephanie Grebe (WK 6) ist einiges zuzutrauen – die aktuelle Nummer vier der Welt ist in Topform und will die vor ihr platzierten Russinnen und die Weltranglisten-Erste Lytovchenko (Ukraine) angreifen.

In der WK 8 der Damen ist Juliane Wolf hinter der Französin Kamkasomphou und der Norwegerin Dahlen auf Position drei gesetzt und will somit bei der Medaillenvergabe gleichermaßen ein gutes Wörtchen mitreden. Auch weiteren Spielerinnen und Spielern des 23-köpfigen Aufgebots von Ziegler ist zuzutrauen, in Helsingborg zu überzeugen. Zudem werden nicht nur Medaillen in den Einzelwettbewerben vergeben, sondern auch in den Teamwettkämpfen – und hier hat die Abordnung von Team Deutschland Paralympics ebenso einige heiße Eisen im Feuer.

Die Vorbereitung lief nach Plan und der letzte Lehrgang im Vorfeld der EM in Bad Blankenburg war laut Volker Ziegler sehr zielführend. Das Team des Bundestrainers ist gut in Form und heiß darauf loszulegen. Nach der Auslosung am Sonntag starten die Einzelwettbewerbe dann am Montag.

Das deutsche EM-Aufgebot:
Janina Sommer (WK1), Lisa Hentig (WK 4), Sandra Mikolaschek (WK 4), Stephanie Grebe (WK 6), Bente Harenberg (WK 7), Corinna Hochdörfer (WK 7), Juliane Wolf (WK 8), Lena Kramm (WK 9 ), Marlene Reeg (WK 10), Thomas Brüchle (WK 3), Jan Gürtler (WK 3), Thomas Schmidberger (WK 3), Valentin Baus (WK 5), Jörg Didion (WK 5), Tim Laue (WK 6), Benedikt Müller (WK 6), Thomas Rau (WK 6), Jochen Wollmert (WK 7), Joshua Wagner (WK 8), Yannik Rüddenklau (WK 9), Florian Hartig (WK 11), Dirk Hartmann (WK 11), Maximilian Kröber (WK 11).
 

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