SAARBRÜCKEN. In der vergangenen Woche leistete Patrick Franziska Außergewöhnliches. Der 31-jährige Spitenspieler des 1. FC Saarbrücken-TT, der seit vielen Jahren punktuell immer wieder die Besten der Welt bezwang, brachte in Dschidda (Saudi-Arabien) sein herausragendes Können über acht Tage hinweg in beeindruckender Konstanz an den Tisch. Das Ergebnis: Beim mit 2 Millionen Dollar dotierten, hochkarätiger als Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele besetzten Saudi Smash gewann der Familienvater Silber, geschlagen nur vom Weltranglistenersten Wang Chuqin. Der Lohn: Der ehemalige Europe-Top-16-Sieger sammelte neben einem satten Preisgeld zudem auch 1.400 Weltranglistenpunkte, die ihn am morgigen Dienstag erstmals in seiner Karriere in die Top Ten der Welt katapultieren. Im Interview verrät der bescheidene, bodenständige Star, was ihn erdet und welcher Traum für ihn am Dienstag in Erfüllung geht.
Patrick Franziska als erster Nicht-Chinese im Finale eines Grand Smash! So oder ähnlich lauteten in der vergangenen Woche die Schlagzeilen. Wie klingt das für Sie?
P.F. Das fühlt sich schon sehr cool an. Es macht mich auch ein bisschen stolz. Es gab zwar noch nicht sehr viele Grand Smash (A. d. R.: der Saudi Smash war nach Austragungen in Singapur von 2022 bis 2024 der insgesamt vierte), aber es ist schön, dass dort nun jemand stand, der nicht das Trikot Chinas trägt. Mir war das selbst gar nicht bewusst, bis ich in einem Interview darauf hingewiesen wurde.
Für viele Menschen ist die Turnierpyramide des Veranstalters Word Table Tennis noch Neuland. Der Grand Smash steht als höchste Kategorie an der Spitze. Seine Bedeutung im Tischtennis ist vergleichbar mit den Grand-Slam-Turnieren im Tennissport.
Neben internationalen Titeln mit der Mannschaft und im Doppel haben Sie im Einzel 2021 das Europe Top 16 gewonnen, waren 2018 EM-Dritter und 2022 Dritter beim Champions Budapest. Welchen Stellenwert hat der zweite Platz beim Saudi Smash für Sie?
P. F. Mein zweiter Platz in Saudi-Arabien ist der bislang größte Erfolg meiner Karriere! Auch deshalb, weil in Dschidda die komplette Weltspitze in dem 64-köpfigen Feld am Start war, darunter die Top 20 der Welt. An den Begriff Grand Smash mag man sich noch gewöhnen müssen, aber das Teilnehmerfeld bei diesen Turnieren geht nicht besser. Bei einem Grand Smash das Finale zu erreichen, ist etwas sehr Besonderes. Auch die von mir bezwungenen Spieler, unter anderem Weltmeister Fan Zhendong, machen meinen Erfolg außergewöhnlich. Darüber bin ich mega happy und entsprechend hoch ist für mich der Stellenwert.
Beeindruckt haben Sie unter anderem mit dem Sieg über Weltmeister Fan, aber auch mit einem 4:0 über den befreundeten Europameister Dang Qiu und einem 4:3 über den in Bestform spielenden Südkoreaner Jang Woojin, der zuvor Olympiasieger Ma Long und Frankreichs Superstar Felix Lebrun düpierte. Ihre außergewöhnliche spielerische Qualität haben Sie so konstant wie nie zuvor in einem Turnier an den Tisch gebracht. Hat der Saudi Smash den bisher besten Patrick Franziska erlebt?
P. F. Ich finde mich schon eine ganze Weile spielerisch sehr gut und bin davon überzeugt, dass ich eine recht hohe Konstanz entwickelt habe. Die erzielten Erfolge lesen sich schön. Ich will aber auch an mein Auftaktmatch gegen Anders Lind erinnern. Ein Erstrundenspiel bei einem Turnier ist für niemanden einfach. Anders ist bei 10:10 im Entscheidungssatz ausgerutscht, als er sich einen Matchball hätte erspielen können. In dieser Szene habe ich etwas Glück gehabt, und ihm ist glücklicherweise nichts passiert. Wenn man solch ein Spiel verliert, dann geht das Turnier in eine ganz andere Richtung.
Das Wissen darum lässt mich meinen Erfolg richtig einschätzen, aber eines steht fest: Beim Saudi Smash hat mir der Sieg über Lind viel Auftrieb gegeben. Er ist ein starker und unangenehmer Gegner, kaum jemand spielt wie er. Nach dem knappen 3:2 war ich freier, der Erfolg hat mir noch zusätzliches Selbstvertrauen gegeben. Ähnlich war es im Spiel gegen Fan Zhendong, gegen den ich am Anfang komplett ohne Chance war und in zwei Sätzen zusammen nur acht Punkte machte. Im fünften Satz hatte ich zwei Matchbälle gegen mich, die ich mit einer Netzberührung und einer guten Reaktion abwehrte. Auch das hätte anders laufen können.
Wenn man solche Spiele wie gegen Lind und Fan aber gewinnt, geht man gestärkt daraus hervor. Es ist ungemein wichtig, auch in den entscheidenden Momenten, die es beim System ‚best of five‘ sehr oft gibt, einen kühlen Kopf zu behalten und weiter zu versuchen, die richtigen Antworten und Lösungen auf jede Situation zu finden. Das ist mir bei diesem Turnier sehr gut gelungen. Außerdem habe ich ziemlich gut gespielt, mich an allen Tagen mental und körperlich sehr stark gefühlt. Ich war bis zum Turnierende fit und physisch voll auf der Höhe. Mein Spiele und mein Erfolg geben mir sehr viel Auftrieb für die nächsten Wochen und Monate.
Schon in der Vergangenheit haben Sie immer wieder überragende Leistungen gezeigt. So ist es Ihnen beispielsweise als einzigem Nicht-Chinesen gelungen, das Superstar-Trio mit Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin zu bezwingen. Was prädestiniert den Spieler Patrick Franziska als Chinesen-Schreck?
P. F. Es ist ganz cool, als Chinesen-Schreck zu gelten. Mein Spielsystem hat sehr viel Power und ich habe relativ viel Qualität in meinen Schlägen. Gegen die Chinesen muss man sehr aggressiv und mit viel Risiko agieren. Hält man nur den Ball im Spiel, dann sind sie einfach zu schnell und zu sicher, schlagen zu hart. Mit meiner druckvollen Spielweise und meiner inzwischen noch stabiler gewordenen Rückhand habe ich aber das Gefühl, dass ich immer etwas gegen sie ausrichten kann, wenn ich mental stark und spielerisch gut drauf bin. Nachdem ich das erste Mal einen dieser Hochkaräter bezwungen hatte, habe ich fest daran geglaubt, das wiederholen zu können. Je öfter einem das gelingt, umso mehr glaubt man an seine Chance, umso mehr gewöhnt man sich an die außerordentlich hohe Qualität der Chinesen und deren Spielsysteme.
Wie entscheidend war im Finale die Tatsache, dass Sie zuvor noch nie gegen den Weltranglistenersten Wang Chuqin gespielt hatten?
P. F. Gegen Wang Chuqin konnte man sehr gut sehen, dass es mein erstes Aufeinandertreffen mit ihm war. In den ersten drei Sätzen ging alles viel zu schnell für mich, dazu kommt seine hohe Qualität in all seinen Schlägen. Aber ab dem vierten Satz hatte ich mich dann besser auf seine Spielweise eingestellt. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich das Finale viel offener gestalten. Das beweist, wie wichtig möglichst viele direkte Vergleiche mit den Chinesen sind. Noch viel entscheidender ist es aber, immer und gegen jeden an seine Chance zu glauben und nicht zu viel Respekt zu haben.
Neben Ihrem bislang höchsten Preisgeld durften Sie auch die stattliche Zahl von 1.400 Weltranglistenpunkten mit nach Hause nehmen. Am Dienstag wird Sie die wöchentlich erscheinende ITTF-Notierung erstmals in Ihrer Karriere in den Top Ten ausweisen, aller Voraussicht nach als Nummer 9 der Welt. Was bedeutet Ihnen diese Bestmarke?
P. F. Den Sprung in die Top Zehn geschafft zu haben, bedeutet mir viel. Es war ein Ziel, auf das ich hingearbeitet habe und deshalb freut mich das sehr. Normalerweise schaue ich nicht so krass auf die Rangliste, denn ich weiß, wie schnell es in alle Richtungen gehen kann. Aber die Top Ten zu erreichen, das war schon immer mein Traum. Bislang stand ich immer nur knapp davor – mal als Elfter, mal Zwölfter. Es aber jetzt endgültig geschafft zu haben, das ist noch einmal eine tolle Zugabe zu meinem zweiten Platz beim Saudi Smash. Es macht mich auch ein bisschen stolz!
Beim Grand Smash im Finale, die Top Ten erreicht: Wie lauten die nächsten Ziele?
P. F. Ich versuche ständig, mich weiter zu verbessern. Im Finale hat mir Wang Chuqin einige Dinge aufgezeigt, an denen ich in meinem Spiel noch arbeiten muss. Es war gut, das einmal so direkt zu spüren. Zudem versuche ich ständig, mich auch mental weiter zu verbessern.
Darüber hinaus stehen bald auch wieder Wettkämpfe an. Zunächst die Play-off-Spiele in der TTBL mit meinem Verein 1. FC Saarbrücken-TT. Das nächste Turnier ist für mich Ende Mai das WTT Champions Chongqing in China. Ich versuche einfach, mich auf jeden Wettkampf zu konzentrieren und immer alles zu geben.
Das müssen Sie inzwischen häufiger als früher tun. Seit Einführung der Turnierserie WTT ist die Anzahl an Turnieren erheblich gestiegen, die zu den Verpflichtungen für den Verein und die Nationalmannschaft hinzukommen.
Wie schwierig ist es, unter diesen Bedingungen Woche für Woche Höchstleistungen abzurufen und gleichzeitig auch noch im Training weiter an Verbesserungen zu arbeiten?
P. F. Der internationale Turnierkalender wird tatsächlich voller und voller. Dazu kommen Bundesliga, Pokal, Champions League. An Wettkämpfen mangelt es uns nicht. Man muss versuchen, das richtige Maß zwischen Turnierteilnahmen, eigenem Training und den wichtigen Pausen zu finden, die auch einmal den Körper und Geist zur Ruhe kommen lassen.
Natürlich ist es die Planung bei vielen Termin ein Spagat. Man sieht es sogar bei den Chinesen, die viel mehr spielen als je zuvor. Sie kommen normalerweise immer relativ weit, aber nun verlieren auch sie das eine oder andere Mal etwas früher. Es wird so sein, dass es mehr und mehr Favoritenstürze geben wird. Das liegt zum einem am Spielsystem ‚best of five‘. Zum anderen daran, dass nicht immer jeder hundertprozentig frisch zu den Turnieren fliegt. Wichtig ist deshalb, klar im Kopf zu bleiben und klug gewählte Pausen einzulegen. Ich denke, ich habe da für mich einen ganz gut Weg gefunden, um zusammen mit meinem Team weiter erfolgreich an den richtigen Schrauben zu drehen.
Am Samstag standen Sie im Finale, seit Sonntag sind Sie wieder zu Hause in Saarbrücken. Wie wichtig ist der Rückhalt in der Familie?
P. F. Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen. Familie und Freunde, das ist für mich das Allerwichtigste. Das erdet mich wirklich. Es tut einfach ungemein gut, nach einer Reise wieder zu Hause zu sein. Egal, ob man gut gespielt hat oder früh ausgeschieden ist, findet man auf den Boden zurück und redet auch über andere Dinge als nur Tischtennis. Das macht den Kopf frei.
Bleibt Ihnen nun etwas Zeit zum Verschnaufen oder warten bereits die nächsten Termine?
P. F. Ein paar Tage zum Verschnaufen habe ich. Ich freue mich schon unglaublich darauf, mit meiner Frau Frida und unserem Sohn Tyler auf den Spielplatz zu gehen, zusammen ein paar Kinderlieder zu hören – das habe ich echt vermisst!
Bald stehen aber schon die Play-off-Spiele in der Bundesliga an. Die Vorbereitungen darauf werde ich in dieser Woche aufnehmen. Ich will versuchen, in den richtigen Modus zu kommen und meinem Verein Saarbrücken zu helfen, in das Finale einzuziehen. Bald darauf geht es dann ja schon wieder weiter nach China. Langweilig wird es also nicht. Aber die nächsten Tage werde ich erst einmal mit der Familie und mit Freunden genießen. Da freue ich mich sehr drauf!
Saudi Smash: Glänzendes Silber für starken Patrick Franziska
Die Einzel-Ergebnisse von Patrick Franziska beim Grand Smash in Dschidda
Finale
Patrick Franziska GER – Wang Chuqin CHN 2:4 (-2,-7,-5,8,10,-6)
Halbfinale
Patrick Franziska GER – Jang Woojin KOR 4:3 (-8,6,5,-7,9,-5,8)
Viertelfinale
Patrick Franziska GER – Dang Qiu GER 4:0 (7,10,7,5)
Achtelfinale
Patrick Franziska GER – Fan Zhendong CHN 3:2 (-4,-4,6,8,10)
2. Runde (beste 32)
Patrick Franziska GER – Alvaro Robles ESP 3:0 (5,2,4)
1. Runde (beste 64)
Patrick Franziska GER – Anders Lind DEN 3:2 (9,-2,7,-10,11)