MÜNCHEN. 30 Jahre ist es her, dass Jörg Roßkopf bei den Europameisterschaften 1992 in Stuttgart den Einzel-Europameister-Titel gewann. Der Doppel-Weltmeister von 1989 war damals 22 Jahre alt. Es war sein vierter Start bei einer EM, wo er zuvor bereits jeweils zweimal Bronze im Einzel sowie Silber im Doppel und mit der Mannschaft gewonnen hatte. Für seinen Schützling Dang Qiu ist es das EM-Debüt im Einzel. Das Penholder-Ass von Borussia Düsseldorf, Mixed- und Team-Europameister des Vorjahres, ist drei Jahre älter als Roßkopf es damals war.
„Diesen Erfolg würde ich gerne feiern“, antwortete Roßkopf auf die Frage, was er sich in diesem Jubiläumsjahr und vom Finale am Sonntag um 16 Uhr wünsche. Dann steht Dang Qiu, die Nummer vier der EM-Setzliste, der Nummer zwei gegenüber, Darko Jorgic aus Slowenien.
Qiu gegen Falck: Klares Ergebnis, enger Verlauf
Qiu hatte nach Rekord-Europameister Timo Boll im Viertelfinale einen weiteren absoluten Star der Szene aus dem Weg geräumt. In der Vorschlussrunde besiegte der Gewinner des WTT Contender in Lima und amtierende Deutsche Meister im Einzel und Doppel den WM-Zweiten von 2019 aus Schweden, Mattias Falck.
Fünf Sätze benötigte Qiu für den aktuellen Doppel-Welt- und Europameister. Das 11:6, 11:8, 11:8, 4:11 und 11:9 liest sich allerdings deutlicher als es dem gebürtigen Nürtinger vorkam. Bis jeweils zur Satzmitte waren die Spielanteile ausgeglichen, erst dann zog Dang Qiu in den Durchgängen eins, zwei, drei und fünf davon. Im Vierten behielt er die Nerven, obwohl Falck plötzlich aufdrehte, Druck und Tempo erhöhte, ihn klug anspielte und nahezu jeden Ball traf. Trotz seiner 3:0-Führung kam Qiu ins Grübeln. „Da habe ich schon gedacht, wenn es so weiter geht, kann es ganz schnell in den Siebten gehen“, bekannte er. „Aber im fünften Satz habe ich dann glücklicherweise wieder die Kurve bekommen und konnte Mitte des Satzes wegziehen. Das war unglaublich wichtig. Ich bin froh, dass ich das Match irgendwie nach Hause geschaukelt habe.“
Im Finale gegen Europe-Top-16-Gewinner Jorgic | Drama um Kristian Karlsson
Anders als beim Match gegen Timo Boll hielten sich die 5.000 Zuschauer in der Rudi-Sedlmayer-Halle diesmal nicht zurück, waren ebenso hellwach und immer bereit wie der Mann am Tisch, der Tischtennis-Deutschland eine von zwei Medaillen bei dieser Heim-EM beschert hat.
Die Farbe des Edelmetalls entscheidet sich gegen Darko Jorgic, Patrick Franziskas Saarbrücker Bundesliga-Teamkollegen. Dieser zog nach einem Verletzungsdrama ins Finale ein. Im fünften Satz einer bis dahin ausgeglichenen Partie passierte es: Falcks Doppelpartner und bester Freund Kristian Karlsson, Franziskas Schwager, umlief seine Rückhand, zog mit voller Wucht durch und blieb mit dem Handgelenk an der Tischecke hängen. Es blutete stark aus der tiefen Wunde seiner linken Schlaghand, die umgehend von Schwedens medizinischer Abteilung und dem Veranstaltungsarzt versorgt wurde.
„Ich hatte die Kraft aus dem Daumen verloren und konnte den Schläger nicht mehr halten. Ich hatte vor, es noch zu probieren, habe aber schnell gemerkt, dass es vorbei ist“, sagte er. Tränen hatte der schwedische Sympathieträger in den Augen, als er zur Gratulation auf Jorgic zuging. Beide umarmten sich innig.
Karlsson: „Ich war vielleicht in der besten Form meines Lebens“
„Ich habe ihm gesagt, dass es mir wirklich leid tut“, erzählte Jorgic. „In den letzten sechs Monaten hat er zwei Mal im Halbfinale aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Wir sind wirklich gute Freunde.“ Niemand wolle auf diese Weise ein Spiel beendet sehen. „Vor allem nicht vor Tausenden von Menschen, die Kristian und mich angefeuert haben und schon gar nicht in einem so wichtigen Spiel wie dem Halbfinale der Europameisterschaft.“
Neben den Schmerzen an der schwer verletzten Hand war es vor allem die verpasste Chance bei diesem Turnier, die Kristian Karlsson trauern ließ. Im Doppel hatte er zusammen mit Falck, mit dem er seit Langem eines der besten Duos der Welt bildet, am Donnerstag den lang ersehnten ersten kontinentalen Titel gewonnen. Im Einzel hatte er in seine vier Partien zuvor in beeindruckender Manier gewonnen, zuletzt im Viertelfinale mit 4:2 gegen Dimitrij Ovtcharov. „Es war hart. Ich war vielleicht in der Form meines Lebens, und dann kann ich nicht spielen. Ich habe das Gefühl, hier eine große Chance verpasst zu haben, und das tut weh.“ Die Zuschauer fühlten mit dem langjährigen Bundesligaprofi von Borussia Düsseldorf, der trotz seines Vereinswechsels zur neuen Saison zu Panathinaikos Athen der Trainingsgruppe am Deutschen Tischtennis-Zentrum erhalten bleiben wird. Sie erhoben sich von ihren Plätzen und spendeten dem am Boden liegenden Karlsson minutenlangen Applaus. „Es war ein Lichtblick in der Dunkelheit, die ich durchlebt habe“, beschrieb der 31-Jährige. „Das war sehr freundlich von ihnen. Ich weiß das zu schätzen.“
Qiu: „Ich hoffe, ich kann Timos Titel verteidigen – für ihn, für uns.“
Während Karlssons Hand in einem Münchener Krankenhaus untersucht wird, bereiten sich Qiu und Jorgic auf das Endspiel vor. Ähnlich wie Qiu befindet sich auch der Slowene zurzeit sportlich auf der Überholspur. Als Olympia-Viertelfinalist von Tokio gewann er zu Jahresbeginn das prestigeträchtige Europe Top 16.
„Es wird ein hartes Match“, prognostiziert Jorgic. „Dang hat eine erstaunliche Leistung gezeigt. Das Publikum gibt ihm bei jedem Punkt Energie. Er ist ein großartiger Spieler, ist wirklich gut etwas weiter hinten und über dem Tisch. Ich hoffe einfach, dass ich es genießen kann, dass ich eine tolle Leistung zeige und dass ich hier in Deutschland die Goldmedaille gewinnen kann.“
Dang Qiu möchte die Medaille im eigenen Land behalten. „Timo hat mir noch ganz herzlich per Whatsapp zum Einzug ins Finale gratuliert und mir viel Glück für morgen gewünscht“, erzählte er. „Ich glaube, er fiebert auch jetzt für mich mit und drückt mir die Daumen. Ich hoffe, ich kann seinen Titel verteidigen – für ihn, für uns.“
Bundestrainer Roßkopf macht dem Einzel-Debütanten keinen Druck
Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf macht dem Debütanten keinen Druck. „Es ist immer ein wichtiger Schritt in der Karriere eines Spielers, die Setzung zu bestätigen. Das hat Dang hier geschafft“, kommentierte der Rekord-Nationalspieler. „Wenn er den Titel gewinnt, macht er in seiner Entwicklung einen noch größeren Sprung. Das stärkt das Selbstvertrauen, und der Beste in Europa zu sein, wäre schon eine Ansage. Aber auch eine Niederlage würde ihn nicht umwerfen: Finals zu verlieren ist immer bitter, aber auch daran wächst man.“
Herren-Halbfinale
Dang Qiu – Mattias Falck SWE 4:1 (6,8,8,-4,9)
Kristian Karlsson SWR – Darko Jorgic SLO 2:4 (9,-5,-3,6,-5,-0) – Karlsson musste wegen einer Handverletzung beim Stand von 2:2 in Sätzen und 5:5 aufgeben.
Die Spiele am Sonntag
Damen-Finale um 14.30 Uhr
Nina Mittelham – Sofia Polcanova AUT
Herren-Finale um 16.00 Uhr
Dang Qiu – Darko Jorgic SLO
Das Aufgebot des DTTB in München
Herren
Dimitrij Ovtcharov (TTC Neu-Ulm, Weltrangliste vom 9. August: Platz 9, Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT, WR: 12), Dang Qiu (Borussia Düsseldorf, WR 13), Timo Boll (Borussia Düsseldorf, WR: 14), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt, WR: 36)
Damen
Ying Han (KTS Enea Siarka Tarnobrzeg, Polen / WR: 8), Nina Mittelham (ttc berlin eastside, WR: 12), Xiaona Shan (ttc berlin eastside, WR: 17), Sabine Winter (TSV Schwabhausen, WR: 48), Yuan Wan (TTC Weinheim, WR: 89), Annett Kaufmann (SV Böblingen, WR: 122), Franziska Schreiner (TSV Langstadt, WR: 209)
Mit diesen Duos geht Deutschland in die Doppel-Konkurrenzen*
Herren-Doppel: Duda/Qiu
Damen-Doppel: Mittelham/Winter, Schreiner/Kaufmann
Mixed: Qiu/Mittelham, Duda/Winter
*Pro Nation dürfen nur maximal zwei Kombinationen an den Start gehen
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