MÜNCHEN. Annett Kaufmann (Böblingen) genießt ihre erste Heim-EM sichtlich. Gegen die Griechin Elisavet Terpou bei ihrem zweiten Einzel auf dem großen Centercourt und Fernsehtisch eins sah man es ihr einmal mehr deutlich an. Weil die zweiten Vorrundenpartien an den übrigen Tischen bereits liefen, hatten die beiden Hallensprecher keine Gelegenheit, das Duell Kaufmann gegen Terpou anzukündigen und die Akteurinnen vorzustellen. Das Publikum in der Rudi-Sedlmayer-Halle war trotzdem zur Stelle, als die 16-jährige Nachwuchs-Europameisterin aller Klassen und sportartenübergreifende Newcomerin des Jahres 2021 in die Box joggte.
Wie der ersehnte kühlende Regenschauer im überheißen Hochsommer ging der Applaus von den Rängen auf die Böblinger Bundesligaspielerin, Deutschlands große Nachwuchshoffnung bei den Damen, nieder, die sich mit einem breiten Lächeln bedankte, das für den Beobachter von außen emotional irgendwo zwischen Glück und Überraschung zu verorten war.
„Einfach ein geiles Gefühl“
„Es war einfach ein geiles Gefühl, da reinzulaufen und von überall Support zu bekommen. Es gab nebendran Spiele, aber die haben trotzdem extrem laut geklatscht“, freute sich Annett Kaufmann. Viel Unterstützung hatte sie eigentlich gar nicht nötig. Beim 3:0 war sie schneller als die vom ZDF eingeplante halbstündige Zusammenfassung der Partie inklusive Interview. Im ersten Durchgang konnte die sechs Jahre ältere Griechin, Nummer 373 der Weltrangliste, gegen die 251 Ränge über ihr platzierten Bietigheimerin noch mithalten, im zweiten Satz und bis zur Mitte des Dritten dominierte Kaufmann. Die Linkshänderin bestimmte das Tempo, variierte gut bei den Aufschlägen und vor allem den Platzierungen, sodass die Griechin nie so recht wusste, was als nächstes auf ihrer Tischhälfte passieren würde und oftmals von Effet und Tempo überfordert war.
Als der komfortable Vorsprung im Dritten bei 9:4 zu Schmelzen begann, war das Publikum wieder zur Stelle, klatschte rhythmisch aufmunternd und behielt dies bei allen fünf Punkten Terpous in Folge bei, die den offenen Schlagabtausch bis zum 9:9 zu ihrem Vorteil nutzen konnte. „Ich realisiere das schon. Das ist sehr cool, weil es eine zusätzliche Unterstützung ist“, so Kaufmann über den Rückhalt aus den Rängen. „Auch wenn ich führe, bin ich ja trotzdem nervös oder vielleicht nicht ganz so zufrieden, wie ich spiele. Wenn ich dann noch mal Unterstützung von hinten bekomme, ist das natürlich sehr schön.“
Kein Frontalunterricht, sondern Austausch mit der Trainerin in der Satzpause
Dann kam die U21-Europameisterin des Vorjahres wieder zum Zug. Zu ihrem ersten Matchball verhalf Annett Kaufmann die Netzkante beim Rückhand-Topspin, den die Athenerin nicht kontrollieren konnte und der ihr vom Schläger ins Aus sprang. Den kurzen Rückschlag Kaufmanns im Ballwechsel danach flippte Terpou von der Netzkante über die gegnerische Tischhälfte hinweg. Annett Kaufmann hatte es geschafft, die Hauptrunde der besten 64 erreicht. Nach der Jubelfaust über den Einzug in die Hauptrunde blieb ihr Gesicht zwar zunächst noch eine Weile ernst, doch der Jubel der Deutschlandfans und deren Applaus lösten die Anspannung. Ihr Freudestrahlen begleitete die 1,81 Meter große Siegerin mit dankbarem Winken ins Publikum und Applaus für ihre zahlreichen Unterstützer.
„Das 3:0 sieht sehr easy aus, aber das war es nicht. Ich musste für jeden Ball kämpfen und viel Kraft aufwenden, um den gut platziert und mit guter Rotation zu spielen“, erklärte die Gymnasiastin. „Im ersten Satz und zum Ende war ich nicht ganz ready, Ballwechsel zu spielen. Ich war mit dem Kopf nicht voll da. Durch Nachdenken und Variieren habe ich es dann doch hinbekommen.“ Dabei half ihr auch Nachwuchs-Bundestrainer Lara Broich an der Box, die sie auch bei den internationalen Jugendturnieren betreut.
„Wenn ich nervös bin oder wackle, ist es gut, wenn ermutigende Worte reingerufen werden oder etwas wie ‚Wechsel mal den Aufschlag‘. Das hilft mir. Das war heute auch ein-, zweimal nötig. Da hat Lara etwas gesagt. Auch wenn ich das eigentlich schon wusste, war das ein guter Reminder“, erzählte Kaufmann, für die es in der Satzpause mit ihren Trainern immer ein Austausch ist und kein Frontalunterricht. „Ich sage, womit ich mich nicht so wohl fühle und was ich stattdessen machen kann. Sie sagen mir vieles, was ich in dem Moment vielleicht nicht so wahrnehme.“
Bundestrainerin Broich: „Das Publikum hat ein gutes Gefühl, wann es pushen muss“
Lara Broich, die selbst als Jugendspielerin alle Kaderstufen des Deutschen Tischtennis-Bundes durchlaufen hatte, ist technische, taktische und emotionale Beraterin. „Im zweiten Satz hat sie am Besten die Schwächen ihrer Gegnerin angespielt. Im ersten und dritten Satz gab es ein paar Situationen, in denen Annett überrascht war, sodass sie zu schnell und hektisch agiert hat. Sie blieb ruhig und bedacht, was der Schlüssel zum Erfolg war“, analysierte Broich.
Die erfahrene Diplomtrainerin kennt auch die atmosphärischen Gegensätze bei den Veranstaltungen der verschiedenen Altersklassen, die Annett Kaufmann bisher im In- und Ausland bereist hat. „Es ist schon ein enormer Unterschied von Jugend- und Erwachsenenveranstaltungen! Die Atmosphäre hier ist super, da das Publikum ein gutes Gefühl hat, wann es pushen muss“, beschrieb Broich. „Ich glaube, dass es sehr individuell ist, wie das auf einen am Tisch wirkt. Annett und Franzi jedenfalls beflügelt es, dass die ganze Halle sie unterstützt.“ Auch Franziska Schreiner (Langstadt) wird das in ihrem zweiten Einzel und gegen Gruppenfavoritin Özge Yilmaz aus der Türkei ab 16.25 Uhr wieder zu spüren bekommen. Dann zusätzlich unterstützt von ihrer Doppelpartnerin Annett Kaufmann. Die Familien der beiden Youngsters haben frühestens zur Hauptrunde ihren Besuch in München angekündigt. Bis dahin sorgen die übrigen Fans für ausreichend Stimmung.
Damen-Einzel, Qualifikation, 2. Gruppenspiel am Montag
Annett Kaufmann – Elisavet Terpou GRE 3:0 (8,2,9)
Franziska Schreiner – Özge Yilmaz TUR, 16.25 Uhr
Als Gruppenerste steht Kaufmann damit direkt in der 1. Hauptrunde. Schreiner muss am Dienstag noch ihr drittes Gruppenspiel absolvieren. Wird sie Gruppenzweite stehen weitere K.-o.-Partien auf dem Programm. Die Auslosung der Hauptrunde ist am Dienstag um 22.15 Uhr.
Das Aufgebot des DTTB in München
Herren
Dimitrij Ovtcharov (TTC Neu-Ulm, Weltrangliste vom 9. August: Platz 9, Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT, WR: 12), Dang Qiu (Borussia Düsseldorf, WR 13), Timo Boll (Borussia Düsseldorf, WR: 14), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt, WR: 36)
Damen
Ying Han (KTS Enea Siarka Tarnobrzeg, Polen / WR: 8), Nina Mittelham (ttc berlin eastside, WR: 12), Xiaona Shan (ttc berlin eastside, WR: 17), Sabine Winter (TSV Schwabhausen, WR: 48), Yuan Wan (TTC Weinheim, WR: 89), Annett Kaufmann (SV Böblingen, WR: 122), Franziska Schreiner (TSV Langstadt, WR: 209)
Mit diesen Duos geht Deutschland in die Doppel-Konkurrenzen*
Herren-Doppel: Duda/Qiu
Damen-Doppel: Mittelham/Winter, Schreiner/Kaufmann
Mixed: Qiu/Mittelham, Duda/Winter
*Pro Nation dürfen nur maximal zwei Kombinationen an den Start gehen
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