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ANNETT KAUFMANN: MIT DER W.L.N.-STRATEGIE ZUM ERFOLG

BIETIGHEIM / BISSINGEN. Bei der Gala der „Sportler des Jahres“ waren die versammelten deutschen Stars der verschiedenen Sportarten wohl froh, dass sie bei der Nachwuchs-Ehrung sitzen konnten und die Vorspeise bereits gegessen hatten, denn die allein die in der Laudatio vorgetragene Erfolgsliste von Annett Kaufmann im Jahr 2021 ist schon ziemlich lang: Team-Europameisterin mit Deutschlands Damen, U21-Europameisterin im Einzel, dreifache U15-Europameisterin, einmal U15-JEM-Bronze, Doppel-Silber bei der Jugend-WM, Platz drei bei den Deutschen Meisterschaften der Damen und zahlreiche Podestplätze bei internationalen WTT-Jugendturnieren. Am Jahresende wurde die 15-jährige Bietigheimerin als erste Tischtennisspielerin und mit Abstand jüngste Geehrte in dieser Kategorie überhaupt vor Deutschlands Sportelite im Kurhaus Baden-Baden zur „Newcomerin des Jahres“ gekürt.

Die Gymnasiastin erzählt im Interview von ihrem Traumjahr 2021, von ihrer Nervosität bei ihrer ersten großen Gala, warum sie sich nicht für Europas große Dominatorin in ihrer Altersklasse hält, und davon, wie sie es trotz eines Sacks voller Fehlstunden schafft, eine gute Schülerin zu sein.

Auf dem Bild mit dem ZDF-Mikro in der Hand bei der Ehrung zur „Newcomerin des Jahres“ lachst du so herzhaft. Erinnerst du dich noch daran, bei welcher Frage das war?
Annett Kaufmann:
Ich kann mich gar nicht so gut daran erinnern. Ich glaube, ich war voller Euphorie und einfach überwältigt. Es war das erste Mal, dass sich vor so vielen herausragenden Sportlern und überhaupt vor so vielen Menschen live geredet habe. Was genau die Frage war, da bin ich mir unsicher. So in etwa, ob ich erwartet hätte, dass es ein Jahr mit so vielen Erfolgen sein würde. Geantwortet habe ich, dass es ein tolles Jahr war und ich mehr erreicht habe, als ich gedacht hatte und dass ich das nur durch die Unterstützung von meinen Trainern, Sponsoren und meiner Familie geschafft habe. Ganz genau weiß ich die Frage aber nicht mehr. Ich war auf jeden Fall ziemlich euphorisch und überwältigt, und mein Lachen war sehr, sehr echt.

Den Teil mit deiner Ehrung hat man ja nicht im ZDF zu sehen bekommen, sondern er hat wie die Ehrung der beiden DOSB-Trainer des Jahres kurz vor den Hauptehrungen stattgefunden. Wie lief deine Kür eigentlich ab? Und saßen da schon alle an den Gala-Tischen und haben deine Auszeichnung mitbekommen?
A. Kaufmann:
Ja, es waren schon alle herausragenden Sportler da, und ich saß eigentlich ganz hinten mit sehr vielen tollen Menschen am Tisch, und meine Mutter war dabei. Wir hatten schon die Vorspeise, und dann kam es zur „Newcomerin des Jahres“. Erst wurden meine Erfolge vorgetragen, dann wurde ich aufgerufen und durfte zum ersten Mal auf meinen hohen Schuhen auf die Bühne laufen.

Mir wurden ein paar Fragen gestellt und dann habe ich von der Vorjahressiegerin den Scheck für mich und meinen Verein bekommen. Danach haben wir auch noch Fotos auf der Bühne gemacht. Dann bin ich runter und zu meinem Platz gegangen und die anderen Sportler haben lautstark geklatscht. Das war einfach ein Wow-Moment.

Du bist über alle Sportarten hinweg zu Deutschlands Newcomerin 2021 gewählt worden und bist die Jüngste in dieser Kategorie seit der Einführung des Wettbewerbs. Wann hast du das Ganze realisiert?
A. Kaufmann:
Ich habe es eigentlich immer noch nicht realisiert. Es gibt so viele herausragende und talentierte Sportler, die es definitiv verdient hätten, Newcomer oder Newcomerin des Jahres 2021 zu sein. Auch wenn die Ehrung schon etwas her ist: Es ist immer noch krass, und ich kann das eigentlich immer noch nicht realisieren. Ich glaube, ich werde es gar nicht realisieren können. Ich bin einfach unglaublich stolz darauf und dankbar für alles, was ich erreicht habe, dankbar auch für die Hilfe all der Menschen, die mich jeden Tag begleiten und unterstützen. Das ist niemals im Leben selbstverständlich, und so ist es auch deren Erfolg.

Das war deine erste große Gala. War dein Herzklopfen größer, als du auf der Bühne gestanden hast oder wegen der Stars zum Anfassen, die unten neben dir saßen?
A. Kaufmann:
Das kann ich gar nicht sagen. Mein Herzklopfen war schon ziemlich groß. Meine Hände haben auch danach noch gezittert. Ich habe das Mikrofon schön mit beiden Händen festgehalten. Nicht, dass irgendwie meine Hand anfängt zu zittern.


Auf der Bühne zu stehen, ist eigentlich nicht so mein Problem. Wenn es Menschen sind, die ich nicht kenne oder die nichts mit mir zu tun haben, bin ich natürlich auch nervös, aber es ist nicht so schlimm. Aber da saßen lauter Leistungssportler, die genau das gleiche Leben wie ich haben, die Situationen durchleben, die ich auch durchlebt habe. Das war eher der Grund, wieso ich so großes Herzklopfen hatte. Natürlich hatte ich auch Herzklopfen, dass ich mich verspreche. Ich wollte mich auf keinen Fall versprechen oder irgendetwas Doofes sagen. Ich war eigentlich allgemein ziemlich nervös, weil es ja meine erste große Gala war.

Magst du Alexander Zverev wirklich oder war das Foto mit ihm nur eine Art gute Gelegenheit?
A.
Kaufmann: Natürlich mag ich Alexander Zverev. Ich bin zwar mehr der Tischtennisfan als der Tennisfan, aber ich habe bei den Olympischen Spielen fast alle Sportarten ziemlich intensiv verfolgt und probiert zu schauen, wo die Deutschen stehen. Und da habe ich Alexander Zverev auch verfolgt. Dass er auch Russisch kann, macht ihn noch sympathischer (Lacht.). Ich finde ihn im Allgemeinen ziemlich sympathisch, auch wie er in den Interviews oder auf der Bühne gewirkt hat. Ich mag ihn.

Vorbilder? „Ich bin wie ich bin, und ich will probieren, meinen Weg zu gehen“

Hast du eigentlich Vorbilder?
A.
Kaufmann: Vorbilder habe ich eigentlich nur im Tischtennis: Jan-Ove Waldner und Ding Ning. Ich kenne sie nicht persönlich – es wäre ein Traum, wenn ich sie persönlich kennen und mal mit ihnen reden dürfte! Mir gefallen ihre Art und ihre Spielsysteme. Ich gucke bei vielen Leuten gerne zu, aber wenn die beiden spielen, ist es ein besonderes Gefühl.

Außerhalb vom Tischtennis fällt mir niemand ein. Ich bin nicht fokussiert darauf, ein Vorbild zu haben. Ich bin wie ich bin, und ich will probieren, meinen Weg zu gehen.

Deine Dominanz in diesem Jahr in Europa war beeindruckend. Was gelingt dir zurzeit besser als vielen anderen?
A.
Kaufmann: Erstmal danke. Klar habe ich Vieles gewonnen, aber ich habe jetzt nicht die große Dominanz gespürt. Ich glaube, mein taktisches Denken ist zurzeit besser ist als bei vielen anderen ich. Spielerisch bin ich nicht auf dem optimalen Level. Es gibt viele andere, die gefährlicher oder einfach besser sind. Auch mental gibt es einige, die stabiler sind. Mein taktisches Denken gibt mir viele Vorteile. Ich analysiere das Spiel sehr schnell, und wenn ich etwas ändern muss, kann ich das schnell umsetzen.
Ich glaube, viele in Europa sind gut. Nur weil man oft gewonnen hat, sollte man nicht sagen, dass da jetzt die große Dominanz ist. In diesem Jahr vielleicht schon, aber ich muss mich auf jeden Fall noch in sehr vielen Dingen verbessern, damit ich noch besser spielen kann. Die anderen schlafen nicht, sie arbeiten ja auch weiter.

Dir stehen eine Reihe erfahrener Trainerinnen und Trainer zur Seite: Sönke Geil von Tischtennis Baden-Württemberg, Evelyn Simon von Compass, beim DTTB je nach Turnier Jie Schöpp, Lara Broich oder Tamara Boros. Inwiefern ist diese Vielfalt für dich ein Vorteil?
A.
Kaufmann: Ja, ich habe sehr viele Trainerinnen und Trainer. Das ist schon ein Vorteil, weil sie alle sehr viel Erfahrung haben und sehr gute Spieler waren und mir in schwierigen Situationen helfen können, falls ich mal nicht weiter weiß.
Manchmal ist es so, dass das, was der Trainer sagt, einem zum Sieg verhilft, manchmal ist es das, was der Spieler selbst denkt, was ihn zum Sieg führt. Natürlich ist es einfacher und schöner, wenn erfahrene Trainer an der Box sitzen, aber im Endeffekt muss der Spieler die Taktik umsetzen. Wenn der Spieler etwas nicht umsetzen kann, wird es schwer.

Mit „W.I.N.“ zum Erfolg

Machst du dir selbst nach dieser Erfolgsserie Druck?
A.
Kaufmann: Man hat schon eine Erwartung an sich selbst, aber es ist nicht so, dass ich mir Druck mache. Es ist auch nicht so, dass ich sage: Ich muss das jetzt gewinnen! Aber wenn man sieht, man kann etwas schaffen, dann kommt dieses Gefühl hoch, „Oh, ich kann es wirklich schaffen!“, und manchmal steht es mir dann im Weg. Statt mich darauf zu konzentrieren, atme ich durch und denke an „W.I.N“ – „What’s important now“, also: „Was ist jetzt wichtig?“. Ich atme vier Atemzüge ruhig durch und spiele Punkt für Punkt weiter. Es ist egal, was ich davor gewonnen oder verloren habe. Es zählt nur das Hier und Jetzt. Ich muss in diesem Moment mein Bestes geben und das, was dabei herauskommt akzeptieren. Druck gibt es dann eigentlich gar nicht.

In welchem Rahmen feierst du eigentlich deine Erfolge?
Annett Kaufmann:
Ich feiere mit meiner Familie. Keine Riesenparty oder so, wir feiern einfach ganz normal den Erfolg und danach ist Schluss. Wir reden anschließend auch nicht dauernd darüber. Man muss ja auch wieder runterkommen. Ich habe etwas erreicht und muss jetzt weiter trainieren und hart an mir arbeiten, damit ich noch besser werde und vielleicht etwas noch Besseres erreichen kann.

Eure Eltern waren beide Leistungssportler – euer Vater Eishockeyspieler, eure Mutter Skirennläuferin. Was ist bei dir und deiner Schwester Alexandra schiefgelaufen, dass ihr keine Wintersportler geworden seid? Wie gut seid ihr eigentlich in den Sportarten eurer Eltern?
A. Kaufmann:
Wir sind schon mal Schlittschuh gelaufen und hatten dabei einen Eishockey-Schläger in der Hand, haben aber nie in einer richtigen Mannschaft gespielt. Es gibt hier bei uns zwar männliche und weibliche Eishockey-Mannschaften, aber das ist nicht so unser Fall gewesen. Das ist schon ziemlich brutal. Tischtennis ist weniger gefährlich.

Wir sind noch nie in unserem Leben Ski gefahren. Es ist schwierig, die Zeit zu finden, in einer Wintersaison Ski fahren zu gehen. Wir leben hier in Süddeutschland in einer Umgebung, in der es keinen Schnee gibt und eben keine Möglichkeit, in der Nähe Ski zu fahren. Und jetzt wollen wir es in den Winterferien nicht riskieren, weil da alles Mögliche passieren kann. Wenn es mal ein bisschen ruhiger geworden ist, werde ich es definitiv mal probieren und Alexandra bestimmt auch.

Alexandra war ja selbst DTTB-Kaderspielerin. Trainiert ihr eigentlich noch oft gemeinsam?
A. Kaufmann:
Ja, manchmal trainiere ich mit Alex. Wir spielen uns bei den Bundesligaspielen meistens gemeinsam ein. Zuhause spielen wir nicht, das wäre räumlich etwas schwer, vor allem aber zeitlich. Sie hilft mir auch als Trainerin manchmal. Wenn es bei mir gar nicht läuft, macht sie mir ein paar Vorschläge oder nennt mir Übungen, die mir helfen. Wir sind schon ein Dreamteam.

Ich würde gerne sehr, sehr gut in Schule sein, aber es einfach ‚physikalisch‘ nicht möglich“

Du bist eine sehr gute Schülerin. Wie schaffst du es mit einem Sack voller Fehlstunden durch die vielen Lehrgänge und Turniere, auch noch in der Schule so gut zu sein?
A. Kaufmann:
Ich bin definitiv keine Einser-Schülerin. Ich bin eher eine Zweier-Schülerin, und das vor allem im letzten Jahr. Dieses Jahr war ziemlich stressig. Ich habe die Fehltage in 2021 nicht alle gezählt, aber ich war zum Beispiel in den letzten drei Monaten nur drei Wochen in der Schule. Ich bin eigentlich ein Mensch, der auch in der Schule sehr ehrgeizig ist. Ich möchte gute Noten schreiben und akzeptiere dann auch keine Drei. Inzwischen bin ich ein bisschen lockerer geworden und nicht mehr so streng zu mir selbst wegen meiner Noten. Ohne meine beste Freundin, ohne meine Lehrer und die Unterstützung würde ich das auch gar nicht schaffen. Meine beste Freundin hilft mir überall, wo sie kann und erklärt mir alles. Meine Lehrer kommen auf mich zu und helfen, soweit es geht. Ohne diese ganze Unterstützung ginge das gar nicht.
Ich würde gerne sehr, sehr gut in Schule sein, aber es einfach „physikalisch“ nicht möglich.

Wenn du nicht in irgendeiner Form mit Tischtennis zu tun hast, was ist deine Lieblingsbeschäftigung?
A. Kaufmann:
Ich liebe es, Filme und Serien zu schauen. Ich könnte die ganze Zeit „Marvel“ und „Grey‘s Anatomy“ schauen. Außerdem liebe ich das Lesen, auch wenn ich kaum dazu komme. Ich mag Thriller, aber auch Romantik und Fantasy. Für andere Sportarten interessiere ich mich auch. Es ist witzig: Selbst wenn eine Sportart neu für mich ist, habe ich doch ein paar Vorteile vom Tischtennis und bekomme es zumindest ein bisschen hin. Meine absolute Lieblingsbeschäftigung ist, mit meiner Familie zu chillen und Disney+ zu gucken.

Was würdest du gerne lernen bzw. können, wenn du nur genug Zeit dafür hättest?
A. Kaufmann:
Eine andere Sportart würde mir bestimmt Spaß machen, aber dafür liebe ich Tischtennis zu sehr. Würde ich noch eine andere Sportart machen, wäre ich fürs Tischtennis zu müde. Ich würde sehr gerne ein Instrument spielen können, am liebsten Klavier. Meine beste Freundin kann Klavier spielen. Sie hat mir neulich ein Stück beigebracht. Ich liebe den Klang des Klaviers und das Gefühl, das man bei Klaviermusik hat. Ich kann auf dem Klavier nur ein Lied spielen und war so euphorisch, dass ich es neben dem Plätzchenbacken die ganze Zeit bei ihr zu Hause gespielt habe.

Solltest du nicht Tischtennisprofi werden: Was ist dein Berufswunsch?
Kaufmann:
Mein erster Berufswunsch ist natürlich Tischtennisprofi. Ansonsten würde ich sehr gerne Kriminalistik studieren oder Gerichtsmedizinerin wie in den Fernsehserien werden. Das interessiert mich schon seit Langem. Hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, aber das würde ich gerne machen.

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