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ZWEITE EINZEL-BRONZE FÜR BOLL

+   +   +  WM IN HOUSTON: Vom Schmerz und von Möregardh besiegt:  Bolls Körper hätte wahrscheinlich schon am Vortag aufgegeben. Doch der unbändige Siegeswille des 40-jährigen Rekord-Europameisters ließ ihn nicht. Und so schmückt sich Boll zehn Jahre nach dem Gewinn seiner ersten Einzel-Medaille bei Tischtennis-Weltmeisterschaften erneut mit Bronze. + + +

HOUSTON. (TX) Timo Bolls Körper hätte wahrscheinlich schon am Vortag aufgegeben. Doch der unbändige Siegeswille des 40-jährigen Rekord-Europameisters ließ ihn nicht. Und so schmückt sich Boll zehn Jahre nach dem Gewinn seiner ersten Einzel-Medaille bei Tischtennis-Weltmeisterschaften erneut mit Bronze. Im Halbfinale der Welttitelkämpfe von Houston, der ersten WM auf dem amerikanischen Kontinent überhaupt, unterlag der Wahl-Düsseldorfer und gebürtige Hesse Truls Möregardh mit 3:4. Mehr noch als gegen die kreative und unerschrockene Spielweise des 19-jährigen Schweden hatte Boll erneut mit seinem Körper zu kämpfen.

Muskuläre Probleme im Bauch, die ihn seit WM-Beginn plagten, waren im Viertelfinale gegen den US-Amerikaner Kanak Jha bereits am Samstag zu schier unmenschlichen Schmerzen ausgewachsen. Wie schwer die Verletzung genau ist? „Wir haben noch kein MRT oder irgendetwas gemacht“, so Boll, „aber wenn man in einem WM-Halbfinale ist, zieht man einfach durch, gibt alles und schaut dann nachher, wo die Körperteile liegen.“ Gegen Möregardh konnte Deutschlands Superstar die Schmerzen jedoch nicht bis ganz bis zum Schluss ignorieren.

Mit einer solchen Verletzung hätte mancher Sportler aufgegeben. Das hat er nicht getan. Timo hat das Halbfinale erreicht und dort sieben Sätze lang Widerstand geleistet. Davor verneige ich mich“, kommentierte Eberhard Schöler, 1969 Deutschlands einziger WM-Einzel-Finalist bei den Herren und auch der einzige Deutsche, der mit zweimal Bronze und einmal Silber mehr WM-Edelmetall gewinnen konnte als Publikumsliebling Boll. „Mit einer solchen Verletzung sieben Sätze durchzuhalten, das ist ein Match für die Geschichtsbücher“, formulierte es der Ehrenpräsident des Deutschen Tischtennis-Bundes, Hans Wilhelm Gäb ganz ähnlich.

Effetflüsterer Boll gewinnt die ersten beiden Sätze

Nach der Jha-Partie war klar: Bolls vermutliche Bauchmuskelzerrung würde mit jeder Drehung des Oberkörpers weniger erträglich geworden. Er musste auch das Halbfinale gewinnen, bevor seine Schmerzen nicht mehr auszuhalten waren. Das klappte zu Beginn überraschend gut. Gestärkt von der Dauerbehandlung durch den Düsseldorfer Orthopäden und DTTB-Mannschaftsarzt Dr. Toni Kass sowie der unermüdlichen Physiotherapeutin Birgit Schmidt vom Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Mai und gehalten von einem Tape-Verband, der seine Bewegungen stützen und den Körper stabilisieren, nicht aber zu sehr einschränken durfte, gewann er die ersten beiden Sätze. Auch wenn er sich ab Mitte des zweiten Durchgangs immer öfter mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Bauch fasste.

Wenn die spektakulären Bälle zu sehr an die Substanz gehen, setzen Tischtennis-Cracks lieber auf die kleinen Punkte. Kaum jemand vermag das besser zu tun als Boll, der Effetflüsterer. Aufschlag, Rückschlag, erster Ball, Möregardh mit Rotation und Platzierungen beschäftigen, bevor dieser den ehemaligen Weltranglistenersten ins Laufen bringt.

Möregardh: 19 Jahre und unbeeindruckt vom eigenen Vorbild

Truls Möregardh, der seinen Gegner schon vor dem Spiel „den legendären Timo Boll“ nannte, blieb vom Ganzen erstaunlich unbeeindruckt. 0:2-Satzrückstand gegen das eigene Vorbild, das offensichtlich verletzt ist, aber trotzdem nicht zurücksteckt – das muss man als Teenager auch mental erst einmal verkraften. Das tat der Schwede.

Ab dem dritten Satz ging Boll einigen Bällen vor Schmerzen schon gar nicht mehr nach. Möregardh nutzte seine Chancen, gewann den dritten Satz, ließ sich selbst vom spektakulären und ausgesprochen gut gelungenem Schlaghandwechsel Bolls auf dem Weg in die Rückhand beim Stand von 5:4 nicht beeindrucken und pfefferte seinen Antwortschlag unerreichbar in Bolls weite Vorhand. Auch Satz vier ging an den amtierenden schwedischen Einzel-Meister, der in der schwedischen und polnischen Liga sein Grundgehalt verdient. Im Fünften lagen die Vorteile wieder bei Timo Boll, der sich nach einem 4:5-Rückstand ein 9:5 erarbeitete. Nachdem die Nummer 77 der Weltrangliste auf 8:9 verkürzen konnte, nahm Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf die Auszeit, um Boll eine Pause zu gönnen und neu einzustellen. Der machte den nächsten Punkt im Rückwärtsfallen mit der Vorhand aus der Rückhandseite. Während er auf dem Boden landete, blockte der Schwede den Ball ins Netz. Nach zwei verpassten ersten Satzbällen holte sich Timo Boll diesen Durchgang in der Verlängerung.

Boll: „Hatte echt Sorgen, dass nicht viel geht“

Ins Spiel bin ich eigentlich recht locker gegangen, weil ich heute überhaupt nicht gut aufgestanden bin nach meiner Verletzung gestern. Ich hatte echt Sorgen, dass nicht viel geht“, sagte Timo Boll nach der Partie. „Aber ich bin super ins Spiel reingekommen. Das Adrenalin hat mir dann auch geholfen, den Schmerz ein bisschen zu übergehen. Wenn du dann in Führung bist und bei 3:2 merkst, dass der Gegner nervös wird, dann willst du es auch irgendwie packen und den Sack zumachen. Es tut einem weh, wenn man es nicht schafft und man merkt, der Gegner findet einfach gute Lösungen.“

In den Sätzen sechs und sieben schwanden dem zweifachen World-Cup-Sieger Boll die Widerstandskräfte. Truls Möregardh zog jeweils mit Vier-Punkte-Vorsprüngen davon. Den schon in seinen jungen Jahren erstaunlich clever agierenden gebürtigen Växjöer zeichnen variable Aufschläge, eine hohe Qualität auch im Kurz-kurz-Spiel, eine starke Vorhand und Kreativität mit der Rückhand aus. Dazu auch am Sonntagabend Ortszeit in Houston bei seiner erst dritten WM-Teilnahme eine bemerkenswerte Abgeklärtheit und Coolness in dieser besonderen Situation. 2018 bei den Heimspielen in Halmstad hatte er mit der schwedischen Mannschaft die Bronzemedaille gewonnen. Die heutige Kulisse im ausverkauften George R. Brown Convention Center mit den nicht abreißen wollenden „Let’s go, Timo“-Rufen der Fans nötigte ihm offenbar keinen besonderen Respekt ab. Mit 11:8 und 11:5 holte er sich die letzten beiden Sätze und zog ins WM-Finale ein, in dem sein Gegner in der Nacht von Montag auf Dienstag um zwei Uhr MEZ der chinesische Weltranglistenerste Fan Zhendong sein wird, der im zweiten Halbfinale seinen Landsmann Liang Jingkun mit 4:1 im Griff hatte.

Nächste WM-Medaille für Boll in zehn Jahren – bei der Senioren-WM

Es war ein schweres Spiel. Timo kam gut rein, aber Truls wurde dann auch lockerer“, erklärte Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf. „Man hat Möregardh die Anspannung in den beiden ersten Sätzen angemerkt. Timo strahlt natürlich auch eine Aura aus, dass ein junger Spieler vor ihm schon Respekt und Angst haben kann. Leider hat Timo am Ende mit 3:4 verloren.“ Es sei klar gewesen, dass sich die Verletzung nicht so schnell bessern würde. „Es ging darum, einfach um jeden Ball zu kämpfen, es über das Aufschlag- und Rückschlagspiel zu versuchen. Und es hätte ja auch beinahe geklappt.“

Vor zwei Jahren in Budapest war es Möregardhs Nationalteamkollege Mattias Falck, der völlig überraschend das Endspiel der WM erreicht hatte. Nun starten die Skandinavier den nächsten Angriff auf den Titel. Im Einzel und im Doppel, wo Falck an der Seite von Kristian Karlsson im Viertelfinale und Halbfinale sensationell beide chinesischen Duos, erst Fan Zhendong/Wang Chuqin, dann Lin Gaoyuan/Liang Jingkun, ausschalteten und am Montag den Südkoreanern Jang Woojin/Lim Jonghoo gegenüberstehen.

Und Boll? „Ich bin glücklich, es geschafft zu haben, noch einmal bei einer WM eine Medaille zu gewinnen. Mit fast 41 kann man das nicht mehr erwarten. Das ist eine wirklich eine schöne Geschichte“, bilanziert er. Ob er in zehn Jahren die nächste Medaille gewinnen werde? „Ja“, antwortete er lachend und fügte hinzu: „Bei der Senioren-WM.“

Roßkopf-Bilanz: „Waren bei allen großen Turnieren ganz weit vorne“

Zeit für die Bilanz von Jörg Roßkopf: „Insgesamt haben wir ein tolles Jahr gespielt. Wir waren bei allen großen Turnieren ganz weit vorne“, so der Doppel-Weltmeister von 1989 und zweifache Olympiamedaillengewinner. „Wir haben bei den Olympischen Spielen Medaillen geholt, bei beiden Europameisterschaften, beim Europe Top 16 geliefert und auch bei diesem Turnier wieder eine Medaille geholt.“

Es gebe immer die Möglichkeit, weiter nach vorne zu kommen. Timo Bolls Doppelpartner und Kronprinz Patrick Franziska etwa hatte in der dritten Runde gegen Möregardh Matchbälle. „So eng ist es im Sport beieinander.“ Auch Dang Qiu und Benedikt Duda spielten ein starkes Einzelturnier und darüber hinaus ein „herausragendes Doppel – auch da hatten wir im Viertelfinale Möglichkeiten“, so Roßkopf. „Wir haben eine tolle Mannschaft, über die ich sehr glücklich bin und wir haben gute, hungrige Spieler hinten dran. Wir wissen natürlich auch, dass es Nationen gibt, die uns jagen. Damit leben wir und nehmen die Herausforderung immer wieder an. Das macht meine Spieler nur stärker.“

Zu den DTTB-Video-Interviews bei YouTube:

Alle Halbfinal-Partien am Sonntag bzw. in der Nacht von Sonntag auf Montag

Herren-Einzel, Halbfinale
Timo Boll – Truls Möregardh SWE 3:4 (8,8,-6,-8,10,-8,-5)
Fan Zhendong CHN – Liang Jingkun CHN 4:1 (5,4,9,-8,11)

Finale in der Nacht von Montag auf Dienstag um 2 Uhr
Fan Zhendong CHN – Truls Möregardh SWE

Mixed, Halbfinale
Cheng I-Ching/Lin Yun-Ju TPE – Wang Chuqin/Sun Yingsha CHN 1:3 (8,-7,7,9)
Tomokazu Harimoto/Hina Hayata JPN – Lin Gaoyuan/Lily Zhang USA 3:2 (9,1,-6,-8,2)

Finale in der Nacht von Sonntag auf Montag um 5 Uhr
Wang Chuqin/Sun Yingsha CHN – Tomokazu Harimoto/Hina Hayata JPN

Damen-Doppel, Halbfinale
Sarah De Nutte/Ni Xia Lian LUX – Wang Manyu/Sun Yingsha CHN 0:3 (-4,-3,-12)
Qian Tianyi/Chen Meng CHN – Hina Hayata/Mima Ito JPN 2:3 (-9,2,10,-6,-7)

Finale am Montag um 20 Uhr
Wang Manyu/Sun Yingsha CHN – Hina Hayata/Mima Ito JPN

Herren-Doppel, Halbfinale
Shunsuke Togami/Yukiya Uda JPN – Jang Woojin/Lim Jonghoon KOR 1:3 (8,-4,-9,-7)
Lin Gaoyuan/Liang Jingkun CHN – Kristian Karlsson/Mattias Falck SWE 0:3 (-10,-8,-8)

Finale am Montag um 20.50 Uhr
Jang Woojin/Lim Jonghoon KOR – Kristian Karlsson/Mattias Falck SWE

Damen-Einzel, Halbfinale
Chen Meng CHN – Wang Manyu CHN 3:4 (9,7,-8,-6,11,-9,-8)
Sun Yingsha CHN – Wang Yidi CHN 4:1 (8,-3,8,6,8)

Finale in der Nacht von Montag auf Dienstag um 1 Uhr
Wang Manyu CHN – Sun Yingsha CHN

Trainerteam und Delegationsleitung

Richard Prause (Sportdirektor), Tamara Boros (Bundestrainerin Damen), Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Lars Hielscher (Cheftrainer Düsseldorf), Sascha Nimtz (Wissenschaftskoordinator, IAT Leipzig), Ralph Färber (Athletiktrainer, Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Main) Rainer Kruschel (Delegationsleiter und DTTB-Leistungssportreferent)

 

Medizinisches Team
Dr. Antonius Kass (Teamarzt), Dr. Christian Zepp (Sportpsychologischer Experte), Birgit Schmidt und Annette Zischka (Physiotherapeutinnen, OSP Hessen)

Schiedsrichter-Team der ITTF
Kerstin Duchatz (Düsseldorf), Nico Zorn (Wuppertal)

 

Offizielle DTTB-Vertreter in ITTF-Gremien
Michael Geiger (AGM-Delegierter), Matthias Vatheuer (AGM-Delegierter), Heike Ahlert (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport, ETTU-Vizepräsidentin, Mitglied im ITTF Board of Directors), Dr. Torsten Küneth (Equipment Committee), Manfred Schillings (ITTF Media Committee und DTTB-Presse & -Kommunikation)

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