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„ICH KÖNNTE HIER EIGENTLICH ALLES ALLEINE MACHEN“

Physio Peter Heckert hat nicht nur die heilenden Hände, sondern ist auch der gute Geist der Mannschaft. Mit seiner Fachkompetenz, seinem offenen Ohr und seinen Entertainer-Qualitäten trägt er an der Seite von Teamarzt Dr. Toni Kass im so genannten „Club Med“ zur positiven Stimmung in Team Deutschland bei. Nur in Überschriften ist für seine Ironie leider nie genug Platz.

TOKIO. Wie lange er die Tischtennis-Nationalmannschaft betreut, kann Peter Heckert, 59, spontan gar nicht so genau sagen. Der dienstälteste Physiotherapeut am Olympiastützpunkt (OSP) Hessen ist einfach schon seit einer kleinen Ewigkeit dabei. Im Jahr 2000 hatte sein OSP in Frankfurt am Main einen Teil der Betreuung übernommen, zunächst immer dann, wenn die Nationalmannschaft in Frankfurt Lehrgänge absolvierte. Es folgten die ersten Anfragen für die Betreuung von Lehrgängen ohne Anbindung an einen Olympiastützpunkt wie die Sommervorbereitung in Hinterzarten.

Nach den Olympischen Spielen 2004 übernahmen die Hessen dann komplett. „Danach hat es nicht mehr aufgehört“, erzählt der zweifache Vater, der mit seiner Familie in Mainz-Kostheim, Hessen, lebt und dessen erster Turniereinsatz im Tischtennis das Europe Top 12 im französischen Rennes 2005 war – mit Timo Boll, Jie Schöpp und Nicole Struse. Auch wenn Peter Heckert über eine jahrzehntelange, sportartübergreifende Erfahrung verfügt, betont er: „Man braucht bei der Arbeit ein tolles Team, und das haben wir in Frankfurt.“ Dort arbeitet der gebürtige Frankenthaler eng mit seinen Physio-Kolleginnen Annette Zischka, Birgit Schmidt und Ines Navarro zusammen.

Wie viel Ahnung hast du nach all den Jahren vom Tischtennis eigentlich?
Peter Heckert: Ich könnte hier eigentlich alles alleine machen, wenn ich die Zeit dafür hätte. Denn das ist mir alles so in Fleisch und Blut übergegangen… Ganz im Ernst: Ich kenne die Regeln, lerne trotzdem immer wieder etwas dazu, und ich weiß, dass der weiße Ball auf den Tisch muss, am besten noch auf die richtige Seite. Wenn es losgeht mit spezifischen Schlägen und Fachausdrücken… Da hat Richard (Anmerkung: Sportdirektor Richard Prause) am Anfang meiner Karriere beim DTTB sehr viel Zeit investiert, es mir beizubringen und viel zu erzählen. Ich habe immer gut zugehört. Kapiert habe ich bis heute nichts. Ich habe aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen. Auf den Ball achte ich wenig. Was ich verinnerlicht habe, sind die Bewegungsabläufe, die Bewegungen, die der Spieler beim Tischtennis macht. Das erscheint mir für den Bereich der Sportmedizin oder Physiotherapie, ich nenne mich auch gerne „Osteopath“, wichtig. Dass ich weiß, wo die Belastungsgrenzen bei einer tiefen Vorhand sind oder bei irgendwelchen Seitwärtsschritten die Belastung in Fuß-, Knie- und Hüftgelenk. Du kannst schreiben: Hat keine Ahnung und auch keine Lust mehr, irgendetwas zu lernen!

Wie schlimm sind solche Spiele wie Dimitrijs Viertelfinale, Halbfinale und das Bronze-Match für dich als Zuschauer an der Box?
Heckert: Erstens möchte ich feststellen: Ich bin kein Zuschauer (Lachen im Hintergrund in der Fünfer-Betreuer-WG.)! Ich weiß ja, wie die Frage gemeint ist: Ich versuche durch meine Ausbildung in der biodynamischen Osteopathie in mir selbst zu ruhen und keine Nervosität aufs Spielfeld zu bringen. Ich versuche, mich im Hintergrund zu halten und auch meine verbalen Äußerungen zurückzuhalten, denn das ist dem Trainer vorbehalten. Der Trainer hat wichtige Informationen für den Spieler. Deshalb muss ich zurückstecken, auch wenn es eigentlich aus mir herausplatzen möchte. Klatschen und jubeln geht, aber mehr ist echt schwer. Ich glaube, ich habe mich ganz gut im Griff. Ob das im Mannschaftsturnier auch so ist, werden wir sehen. Im Moment kann ich mich gut zügeln, und das ist auch meine Aufgabe.

Wie viele Hände voll zu tun hast du als einziger Physiotherapeut bei acht Spielern und vier Trainern?
Heckert: Viele Spieler, viele Trainer, viele Hände voll zu tun – ja, das habe ich. Es liegt nicht unbedingt nur an der Größe der Mannschaft, sondern auch daran, dass es zwei Mannschaften mit unterschiedlichen Abläufen sind. Das ist manchmal nicht für alle zufriedenstellend zu bewältigen. Aber das liegt nicht in meiner Macht. Es ist auch eine Sache des Betreuerschlüssels. Hier bei Olympia habe ich aber noch Toni (Anmerkung: Mannschaftsarzt Dr. Toni Kass) mit dabei. Er ist wirklich eine super Bereicherung. Zeitmangel zum Behandeln gab es bisher noch nicht. Das zieht sich dann halt einfach bis weit in die Nacht hinein.

Wer braucht zurzeit deine größte Zuwendung als Physio und für welchen Bereich?
Heckert: So genau möchte ich das nicht sagen. Fakt ist für mich, dass ich für den Athleten, der bei mir auf der Bank ist, voll und ganz da bin, auf den ist meine volle Konzentration gerichtet. Im Laufe eines Turniers wie jetzt bei Olympia wechselt die Intensität bei Spielern und bei Trainern.


Es gibt aber einen Athleten, mit dem ich im Moment sehr wenig zu tun habe. Das ist Benedikt Duda. Wir kommen leider nicht dazu. Dabei macht er genau wie Nina Mittelham bei den Damen hier einen supergeilen Job für das ganze Team, für die Athleten, für die Trainer. Das ist nicht einfach auf das Einspielen beschränkt. Die beiden erledigen Aufgaben fürs Apartment, für das Eisbad, was weiß ich. Das ist einfach hervorragend!

Was ist für dich das Schönste, was das Schrecklichste an Olympischen Spielen?
Heckert: Das Schönste ist, alte Athleten wiederzutreffen, die ich früher schon behandelt habe. Ich war 1992, 1996 und 2000 bei Olympischen Spielen und bin seit 32 Jahren am Olympiastützpunkt Hessen. Viele der früheren Athleten sind jetzt Trainer oder Sportdirektoren. Es ist immer schön, jemanden zu treffen und einfach zu quatschen. Oder man trifft einen Athleten, der gerade eine Medaille gewonnen hat, und man weiß, an dem hat man auch die Hände gehabt. Das ist ein toller Moment. Es sind schöne Erinnerungen, die einfach bleiben.


Das Schlimme an Olympischen Spielen ist, dass die Athleten hier die schlechtesten Bedingungen für den Sport haben. Das ist bei allen Großveranstaltungen besser als bei Olympischen Spielen. Hier in Tokio stößt uns einiges extrem auf.
Die Gegebenheiten in einer Männer-WG, in wir drei Wochen leben, kannten wir vorher. Dass man zum Essen weit laufen muss, dass es dort voll ist, dass wir zu den Hallen lange mit dem Bus fahren müssen – das wussten wir vorher und darauf können wir uns einstellen, aber wirklich schön ist das nicht. Das ist bei den Disziplinmeisterschaften wie Weltmeisterschaften besser organisiert. Da ist auch unser „Staff“ größer.

Das deutsche Aufgebot bei den Tischtenniswettbewerbe in Tokio

Herren-Team: Dimitrij Ovtcharov (Fakel Gazprom Orenburg, Russland), Timo Boll (Borussia Düsseldorf), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ergänzungsspieler: Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)


Damen-Team: Petrissa Solja (TSV Langstadt), Han Ying (KTS Enea Siarka Tarnobrzeg, Polen), Shan Xiaona (ttc berlin eastside), Ergänzungsspielerin: Nina Mittelham (ttc berlin eastside)


Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll


Damen-Einzel: Petrissa Solja, Han Ying


Gemischtes Doppel: Patrick Franziska/Petrissa Solja


Teilmannschaftsleiter: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainer-Team: Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Jie Schöpp (Bundestrainerin Damen), Lars Hielscher (Assistenztrainer)
Physiotherapeut: Peter Heckert (OSP Hessen)
Arzt: Dr. Antonius Kass (Düsseldorf)
Schiedsrichterin: Anja Gersdorf (Düsseldorf)
Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst (Frankfurt/Main) – E-Mail: probst.dttb@tischtennis.de, mobil: +49 176 61423116

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