BEIJING. (BS) Am letzten Tag der paralympischen Winterspiele in China landen die deutschen Langlauf-Staffeln auf den Plätzen fünf und acht. Für Martin Fleig ist es der letzte Einsatz in einem Rennen, weswegen sich die Mannschaftskollegen extra ins Zeugs legen. Der Bundestrainer Ralf Rombach blickt auf emotionale Tage zurück.
Die Überlegungen zur Aufstellung für die Staffelwettbewerbe im Para Skilanglauf bewegen sich immer infolge des komplexen Regelswerks zwischen Knobelei und Pokerspiel. Die Frage, welche Athletinnen und Athleten im Mixed und welche in der offenen Staffel zum Einsatz kommen, um eine der beiden Staffeln die größtmöglichen Medaillenchancen zu verschaffen, stellte das Team um den Bundestrainer Ralf Rombach bei den Paralympics 2022 vor eine wahre Aufgabe. „Wir haben selten so lange hin und her überlegt, wie wir aufstellen“, verriet Nico Messinger.
Am Ende gehörte der sehbeeinträchtigte Athlet vom Ring der Körperbehinderten Freiburg und sein Guide Robin Wunderle der Mixed-Staffel an – genau wie Startläuferin Anja Wicker (MTV Stuttgart), Leonie Walter (SC St. Peter) und ihr Guide Pirmin Strecker sowie Marco Maier (SV Kirchzarten). Die Hoffnung war, dass Anja Wicker auf für sie günstigem Schnee die erste von vier 2,5-Kilometer-Runden mit möglichst geringem Abstand nach vorne beenden würde und der Rest des Teams kontinuierlich nach vorne laufen könnte. „Die Bedingungen haben die Aufstellung gerechtfertigt“, sagte sie. Das Problem: „Am Ende waren die anderen trotzdem einfach besser.“ Gold ging in 25:59.3 Minuten an Team USA. China holte Silber (+26.0 Sekunden), Kanada Bronze (+1:01.3 Minuten). Die Ukraine (+1:22.6 Minuten) und Deutschland (+1:50.8 Minuten) folgten auf den Plätzen vier und fünf.
Die Enttäuschung darüber hielt sich trotzdem in Grenzen. „Wenn jeder seine Bestleistung abruft und es am Ende nicht reicht, muss man nahtlos anerkennen, dass die Konkurrenz einfach stärker war“, sagte Marco Maier. Leonie Walter genoss ihre paralympische Staffel-Premiere und sprach von „einem Erlebnis“.
Martin Fleig feiert Abschied
In der offenen Staffel ging Deutschland mit Martin Fleig (Ring der Körpervehinderten Freiburg), Linn Kazmaier (SZ Römerstein, mit Guide Florian Baumann), Alexander Ehler (SV Kirchzarten) und Johanna Recktenwald (Biathlon Team Saarland, mit Guide Valentin Haag) an den Start. Beim umjubelten Sieg der Ukraine (28:05.3 Minuten) vor Frankreich und Norwegen wurde das deutsche Team Achter. „Es hat Spaß gemacht. Mit der Staffel zu laufen und den Teamgedanken zur Geltung zu bringen, ist immer etwas Besonderes“, sagte Johanna Recktenwald.
Etwas durch und durch Besonderes war dieses Rennen für Martin Fleig – denn es war das letzte in seiner Karriere. „Viel Kraft hatte ich nicht mehr nach den Tagen hier. Aber wir wollten Martin einen schönen Abschluss bescheren. Wenn man eine Staffel läuft, findet man noch Energie“, sagte die Entdeckung dieser Spiele, die 15-jährige Linn Kazmaier. Und auch Alexander Ehler betonte: „Das Wichtigste für mich war heute, noch einmal mit Martin zu laufen.“
Der 32-Jährige selbst nannte sein letztes Rennen einen „richtig geilen Abschluss“, zumal er in seiner Karriere nicht viele Staffel-Wettbewerbe bestritten hatte. „Umso toller war es, hier dabei sein zu dürfen.“ Fleig dankte seinem Team – und dem Team hinter dem Team. „Ohne die vielen Unterstützerinnen und Unterstützer wäre in meiner Karriere vieles nicht möglich gewesen.“
Spiele im Zeichen des Krieges
Damit ging der letzte Tag der Paralympics ohne deutsche Medaille zu Ende, was das Fazit des Bundestrainers aber nicht trübte. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir mit unserer jungen Mannschaft so erfolgreich abschneiden würden“, sagte Ralf Rombach. Insgesamt 13 Trophäen liefen seine Athletinnen und Athleten ein. Fünf (1x Gold, 3x Silber, 1x Bronze) gingen auf das Konto von Linn Kazmaier, vier (1x Gold, 3x Bronze) auf das von Leonie Walter. Der 18-Jährigen wurde die Ehre zuteil, bei der Abschlussfeier am Sonntag die deutsche Fahne ins Pekinger Nationalstadium zu tragen.
Ein weiterer Debütant, Marco Maier (22), holte sowohl im Biathlon- als auch im Langlauf-Sprint Silber. Zwei der Arrivierten, Anja Wicker und Martin Fleig, gewannen Bronze und Silber im Biathlon über die Mitteldistanz. „Die Mannschaft hat insgesamt überragend harmoniert und sehr professionell gearbeitet. Die Jungen haben für Furore gesorgt und die Ü30 gezeigt, dass sie an guten Tagen noch immer zur Weltspitze gehören“, sagt der stolze Coach.
Vor der Heimreise am Montag vergaß Rombach einen Aspekt nicht zu erwähnen. „Es waren meine sechsten Spiele und die bisher außergewöhnlichsten. Dass wir einmal zu Weltspielen zusammenkommen, während unweit der Heimat Krieg ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Die Gefühlslage zwischen Jubel über den bar jeder Erwartung starken Auftritt der eigenen Mannschaft und dem Mitgefühl mit dem ukrainischen Team und Volk zusammenzubringen, „das“, so sagt der Bundestrainer, „war emotional nicht einfach“.