PEKING. Leni, Vidi, Vici: Anna-Lena Forster hat bei den Paralympics nach Silber in der Abfahrt und im Super-G Gold in der Super-Kombination gewonnen – es war das erste Gold für das Team Deutschland Paralympics. Anna-Maria Rieder wurde Vierte und verpasste die Medaille knapp, Leander Kress belegte einen guten 17. Platz. Noemi Ristau mit Guide Paula Brenzel und Andrea Rothfuss schieden im Super-G am vorletzten Tor unglücklich aus.
Anna-Lena Forster liefen am Montag zwei Mal die Tränen über das Gesicht: Einmal unmittelbar nach ihrem Super-G am Vormittag, als sie enttäuscht war und glaubte, ihre erhoffte Goldmedaille schon verloren zu haben. Und einmal aus Freude am Nachmittag nach dem Kombi-Slalom, als sie 6,07 Sekunden auf die zweifache Paralympics-Siegerin von Peking aufgeholt hatte, die Japanerin Momoka Muraoka, und sich doch noch belohnte.
„Damit habe ich nicht gerechnet. Ich weiß, dass ich im Slalom gut bin. Aber dass ich über sechs Sekunden aufholen kann, hätte ich niemals gedacht“, sagte die 26-Jährige nach dem Gewinn ihrer ersten Goldmedaille bei den Paralympics in Peking: „Es ist unglaublich, was einem für Gedanken durch den Kopf schießen. Es war eine Achterbahn der Gefühle, einfach verrückt. Jetzt bin ich so durchwühlt, dass ich gar nicht weiß, was ich denken soll.“
6,07 Sekunden Rückstand nach dem Super-G
Nach dem Kombinations-Super-G war Anna-Lena Forster bedient – der große Rückstand auf die Japanerin Momoka Muraoka schockte die 26-Jährige sichtlich, schließlich hatte sie vor vier Jahren in PyeongChang in jener Disziplin ihren ersten Paralympics-Sieg gefeiert. Auch die Chinesin Sitong Liu und die Niederländerin Barbara van Bergen platzierten sich im ersten Lauf vor ihr, sodass Forster nur Rang vier blieb: „Ich weiß nicht, was los war. So beschissen hat es sich eigentlich gar nicht angefühlt. Ich hab den Lauf verschlafen und Momoka hat ihn gnadenlos runtergezogen. Das hat sich ausgezahlt. Sechs Sekunden sind eine ganz schöne Nummer.“ Den Sieg abschreiben wollte die Weltmeisterin noch nicht, konnte ihre Gefühlslage mit bitteren Tränen aber nicht verbergen: „Eine Medaille ist zwar noch realistisch, aber ich hätte heute eher auf die Goldene abgezielt.“ Als Bundestrainer Justus Wolf sie niedergeschlagen im Zielbereich sah, sagte er: „Da hast du uns aber eine Challenge gesetzt“, und mit Blick auf den Slalom: „Wir geben Gas.“
Und das tat Forster dann: Als sie im Ziel angekommen war, wusste sie, dass ihr Slalomlauf gut war, doch ein kleiner Fehler im Schlusshang ließ sie zittern. Die Niederländerin van Bergen schied aus, Liu platzierte sich hinter ihr. Und Muraoka verlor von Zwischenzeit zu Zwischenzeit mehr, im Ziel blinkte „+0,77 Sekunden“ auf – Forster hatte es geschafft! „Für mich war eigentlich ein Ausfall von ihr die einzige Chance. Jetzt doch noch Gold zu holen, war so emotional und auch erleichternd, weil viel Druck von außen kam. Da bin ich froh, dass ich jetzt wenigstens eine Goldmedaille habe.“
„Red‘ du nur, das wird eh nix“
Bundestrainer Wolf habe „die ganze Zeit“ auf sie eingeredet. Das tat ihr gut, auch wenn sie im ersten Moment nicht allzu viel davon hielt: „Ich dachte mir, red‘ du nur, das wird eh nix. Er hat da oft ein gutes Gefühl für und hat daran geglaubt. Es hat mir geholfen, dass wir einfach direkt weitergemacht haben. Dieses Nicht-dran-Hängenbleiben hat mir gutgetan. Ich habe mental viel gearbeitet die letzten Wochen und Monate, das hat mich stark gemacht.“
Der angesprochene Bundestrainer schildert die die Zeit zwischen den Läufen als „relativ intensiv“: „Da haben wir verhältnisweise viele Slalomfahrten gemacht und uns ein bisschen zurückgezogen, damit sie den Fokus auf sich selbst legen konnte. Es ist sehr schön, dass sie es im Slalom noch rumreißen konnte und wir die erste Goldmedaille verbuchen können. Im Super-G hat sie vielleicht gedacht, sie muss ein bisschen taktisch fahren, hat im Unterbewusstsein die Handbremse drin gehabt und sich vielleicht ein bisschen verkalkuliert.“
Das war am Ende des Tages dann aber egal, wie auch sonst alles, als Forster sich inmitten der deutschen Jubeltraube befand, aber gar nicht so richtig wusste, wohin mit ihren Glücksgefühlen. „Ich weiß nicht, wo mein Handy ist. Ich weiß nicht, wo mein Rollstuhl ist. Ich weiß nicht, wo mein Rucksack ist. Ich habe nicht mal eine Ahnung, was für ein Tag heute ist“, sagte die deutsche Fahnenträgerin und lachte laut. Nach einer intensiven Woche mit drei Abfahrts-Trainings, der Eröffnungsfeier und drei Rennen war sie auch froh, nun drei Tage ohne Wettkampf-Druck zu haben: „Ich denke, das tut allen gut, heute Abend zusammenzusitzen und einfach zu quatschen. Es war für alle nicht leicht. Das hat sich das Team verdient.“
Ristau und Rothfuss verpassten das gleiche Tor
Der Super-Kombi-Tag war nämlich nicht nur für Forster aufwühlend. Im Gegenteil: Er hatte absolut verflixt begonnen. Noemi Ristau und Guide Paula Brenzel waren ähnlich gut wie im Spezial-Super-G gestern unterwegs, doch dann verlor Ristau die Linie und fuhr durchs vorletzte Tor im Zielhang, sodass das Duo disqualifiziert wurde und den zweiten Lauf im Slalom tief enttäuscht verpasste. „Wir hatten einen richtig coolen Lauf und Noemi hat es geschafft, den Ski gehen zu lassen“, sagte Brenzel: „Leider war beim vorletzten Tor eine kleine Ecke drin, sodass Noemi nicht rechtzeitig die Kurve bekommen hat.“ Die Zeit hätte Platz fünf bedeutet, was eine gute Ausgangslage für den Slalom gewesen wäre: „Da hätten wir echt was rausholen können. Es hat nicht sollen sein, wir sind schon ein bisschen deprimiert und enttäuscht. Noemi war schon beim Röntgen und hat sich zum Glück nichts Ernsthaftes getan. Wir probieren jetzt, nach vorne zu gucken.“
Bedient war auch Andrea Rothfuss, die wie Ristau mit viel Tempo in den Zielhang einbog und am gleichen Tor wie Ristau sogar ganz vorbei fuhr. „Es ist eine Krux mit der Kombination“, sagte Rothfuss, die 2014 und 2018 Silber in der Disziplin gewonnen hatte, „aber vor vier Jahren habe ich ja eher Gold hergeschenkt und 2010 bin ich gar nicht ins Ziel gekommen. Ich hatte nicht genug Richtung am Tor vorher. Mir war da schon klar, dass ich nur noch im Tor landen kann, dann war es vorbei. Es war mein Fehler, weil wir es in der Besichtigung noch gesehen hatten.“
Die 32-Jährige, die schon 13 paralympische Medaillen bei zuvor vier Paralympics gewonnen hat, ist bislang noch ohne Edelmetall. Doch trotz des Ausscheidens nahm sie direkt etwas Positives mit, weil ihre Leistung besser war als am Vortag: „Ich kann den Tag mit einem weinenden und lachenden Auge sehen, weil ich wieder mehr zu mir selber gefunden hab und die Fahrt von gestern revidieren konnte. Heute Nachmittag stell ich mich nochmal auf die Slalom-Ski und werde dann morgen ganz entspannt den freien Tag genießen.“
Rieder und Kress mit starken Super-G-Läufen
Positive Schlagzeilen schrieben hingegen noch Anna-Maria Rieder und Leander Kress: Rieder fuhr im Slalom von Platz sechs auf vier vor und ärgerte sich zwar, die Medaille nur um 1,67 Sekunden verpasst zu haben: „Platz vier ist irgendwie der Loser-Platz, du bist nicht auf dem Podest. Ich weiß jetzt, dass ich es vielleicht geschafft hätte, wenn ich voll attackiert hätte. Das ist ein bisschen traurig, aber ich weiß, was ich in den kommenden Rennen machen muss, um bei den fünf, sechs starken Mädels vorne dabei zu sein.“ Auch Wolf tat der zweite vierte Platz nach Andrea Rothfuss in der Abfahrt „ein bisschen weh“. Der Bundestrainer wusste die starke Leistung der 22-Jährigen, die in Lillehammer Kombi-Bronze gewonnen hatte, aber einzuordnen: „Es ist ihre erste Speed-Saison und dann hat sie so eine gute Ausgangslage mit einem echt ordentlichen Super-G gelegt, dass sie wirklich fast ins Medaillenrennen eingegriffen hätte. Da hoffen wir, dass bei dem Slalom-Eindruck im Slalom am Sonntag wirklich was geht.“
Leander Kress freute sich nach einem Sturz in der Abfahrt und Platz 27 im Super-G über Rang 17 – seiner ersten Top-20-Platzierung beim Paralympics-Debüt. Die gute Ausgangssituation dafür hatte er sich am Vormittag geschaffen mit einer „hocherfreulichen und richtig, richtig guten Leistung“, wie Wolf fand: „Im Super-G bin ich befreiter gefahren, das war viel besser. Mein Mentor Alexander Spitz sagt immer: Knall einen runter und das habe ich heute gemacht“, sagte Kress: „Nur fünf Sekunden Rückstand, da bin ich stolz drauf. Ich weiß, da geht noch mehr, aber fürs Erste ist das echt cool.“ Im Slalom spürte er die hohe Belastung der vergangenen Speed-Woche und konnte sich nicht mehr verbessern. „Mein Oberschenkel ist langsam echt fertig, da ist es schwierig, sich so schnell zu bewegen. Aber ich habe es ins Ziel gebracht, das war ganz cool. Jetzt brauche ich erst mal zwei Tage Pause, damit der Oberschenkel wieder einsatzfähig ist.“
Am Donnerstag geht es für die Männer dann mit dem Riesenslalom weiter – gleichzeitig das Paralympics-Debüt für Kress‘ Zimmerkollegen und Kumpel Christoph Glötzner. „Er war jetzt immer der Urlauber und hat ausgeschlafen“, frotzelte Kress: „Aber er ist immer hier, schaut zu und baut mich auf, weil die ersten zwei Rennen nicht so waren, wie ich es mir vorgestellt habe. Im Riesenslalom ist er an meiner Seite, das erhöht vielleicht ein bisschen den Druck, aber da können wir beide abliefern.“