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NINA MITTELHAM MIT INNERER RUHE

Individual-Weltmeisterschaften in Durban (20. bis 28. Mai) * * *  Dang Qiu mit Katastrophen-Zeitplan - Nina Mittelham eilt in Durban von Sieg zu Sieg im Einzel, mit ihr Ying Han. Auch Dang Qiu sowie das Doppel Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov sind noch im Rennen. Die Ansetzung von Qius Achtelfinale gegen Turnierfavorit Fan Zhendong nur rund zwölf Stunden nach seinem verwandelten Matchball gegen Felix Lebrun am späten Mittwochabend nennt der amtierende Einzel-Europameister jedoch völlig zurecht „eine Katastrophe“.

Nina Mittelham (c) DTTB

DURBAN. (ZA) Wer sie sehr gut kennt, kann von außen wahrnehmen, wie es in Nina Mittelhams Kopf aussieht, wenn sie am Tisch steht. Hat sie diese gewisse Körperspannung, sind ihre Knie genau richtig gebeugt, der Oberkörper in leichter Vorlage, aber nicht zu extrem? Hat sie diesen natürlichen, flüssigen Bewegungsablauf, die rund wirkende Beinarbeit, tänzelt sie zwischen den Ballwechseln? Stimmt die gesamte Körpersprache zusammen auch mit der geballten Jubelfaust Richtung Coach, begleitet vom hörbaren „Tscho“-Ruf?

Dann ahnt Bundestrainerin Tamara Boros, dass ihr Schützling das Spiel wahrscheinlich nicht verlieren wird. „Wenn ich diese Körperspannung sehe, sie einen Punkt macht und mich ansieht, und ich dabei die völlige Konzentration auf das Spiel in ihren Augen sehe, dann weiß ich, dass das die ‚richtige Nina‘ ist“, sagt die ehemalige kroatische Weltklassespielerin, die von den 1990er-Jahren bis in die 2000er hinein als Europas Antwort auf Asiens Asse galt. „So würde ich Nina am liebsten immer sehen.“

Mittelham: „Ich fühle mich wohl“

Denn wenn Nina Mittelham so aussieht, ist sie frei im Kopf, dann hat sie die „innere Ruhe“, wie Boros es nennt, und das ist das Wichtige bei dieser 26-jährigen feinfühligen Ballartistin, die alle Schlagvarianten beherrscht und ihre Gegnerinnen weltweit damit beherrschen könnte an Tagen, an denen alles stimmt. Auf Nachfrage gibt die gebürtige Willicherin an solchen Tagen immer zu Protokoll: „Ich fühle mich wohl.“ Selbst wenn sie dann mal einen Fehler auf einen Ball macht, der eigentlich ihrer gewesen wäre – es kümmert sie einfach nicht. Und wenn die Beine an WM-Tag fünf schwer sind von der Dreifachbelastung aus Einzel, Doppel und Mixed, na und?

Auch am Mittwochabend in ihrem dritten Einzel bei den Weltmeisterschaften im südafrikanischen Durban war das wieder so. Leidtragende des Seelenfriedens war diesmal Li Yu-Jhun, die 25-jährige Nummer 82 der Weltrangliste aus Taiwan. Die EM-Finalistin von München fegte die Frau mit 4:0 vom Tisch, die wenige Stunden zuvor an der Seite von Cheng I-Ching die Viertelfinalpläne von Annett Kaufmann und Sabine Winter in drei Sätzen zunichte gemacht hatte. Selbst als die asiatische Angreiferin im Einzel gegen Mittelham zur Mitte von Durchgang drei mit vier Punkten in Führung lag, bog das Berliner Bundesliga-Ass den Satz noch um und brach damit endgültig die Moral ihrer Kontrahentin.

Gegen die Titelverteidigerin im Achtelfinale nichts zu verlieren

Das war auf jeden Fall eine gute Leistung von mir“, freute sich die Siegerin bescheiden. „Ich habe die ersten zwei Sätze dominiert. Den Dritten habe ich mir nach 2:6 noch geklaut. Da habe ich gemerkt, dass sie schon abgebaut hat.“ Und dann war da wieder dieser Satz: „Ich habe mich hier von der ersten Runde an wohlgefühlt.“ Im Achtelfinale trifft Mittelham erstmals auf Chinas Titelverteidigerin Wang Manyu. „Ich freue mich darauf. Ich habe noch nie gegen sie gespielt, habe nichts zu verlieren und werde mein Bestes versuchen“, verspricht Deutschlands Nummer zwei.

Gegen Wang Manyu ist es ein wirklich schweres Spiel“, weiß auch Bundestrainerin Boros. „Nina soll es einfach genießen und von diesem Match ableiten, woran wir danach noch arbeiten müssen.“ Denn das Training ist ein wichtiger Punkt in der Philosophie von Tamara Boros. Wenn Nina wie in den vergangenen Wochen vor der WM gut trainiert habe, denke sie positiv, so die 45-jährige Wahl-Düsseldorferin Boros. „Sie guckt dann nicht danach, was gerade schlecht läuft und sucht nicht das Negative.“ Die innere Ruhe in gutem Training zu finden, ist für die Spielerinnen und Spieler mit ihren überfrachteten Terminkalendern aus internationalen Aufgaben und Vereinsverpflichtungen schwer. Es bringe nichts, durch die Welt zu fliegen, nur um Weltranglistenpunkte einzusammeln, ist Boros überzeugt. „Die Spieler dürfen nicht vergessen, fokussiert und über einen längeren Zeitraum zu trainieren. Das ist ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Zukunft.“

Ying Han macht einmal mehr kurzen Prozess

Neben Mittelham steht eine weitere deutsche Dame im Achtelfinale. Ying Han machte auch mit Andreea Dragoman in vier Sätzen kurzen Prozess. Viele Schnittwechsel und häufige variable Angriffsbälle der besten Abwehrerin der Welt ließen die Rumänin ratlos zurück. Sie wusste nie, was die Deutsche als nächstes spielen würde. Einen ähnlichen Gedanken könnte Tatiana Kukulkova am Donnerstag haben. Die 22 Jahre junge Slowakin ist Hans nächste Kontrahentin und hatte in der dritten Runde Sabine-Winter-Bezwingerin Gaia Monfardini in fünf Sätzen ausgeschaltet.

Als am späten Mittwochabend niemand sonst mehr einen Schläger in der Hand hielt, gab es an Centercourt-Tisch Nummer eins im ICC Durban zwei Spieler, die sich im Penholdergriff mit „Reaktionszeiten wie Luftwaffenpiloten“ (Zitat TV-Kommentator Adam Bobrow) die Bälle um die Ohren pfefferten. Beim heißen Tanz gegen den mit 16 Jahren jüngeren der beiden Lebrun-Brüder, Felix, aus Frankreich hatte Dang Qiu das bessere Ende mit 4:2 für sich. „Ich habe eigentlich komfortabel mit 2:0 in Sätzen geführt, und plötzlich stand es 2:2“, kommentierte der amtierende Einzel-Europameister. „Felix ist ein herausragender Spieler, und ich bin froh, dass ich das Match noch irgendwie gewonnen habe. Dieses Spiel hat eigentlich keinen Verlierer verdient.“

Gegen Lebrun der Letzte in der Halle, gegen Fan fast der Erste: Qius herbe Kritik am Zeitplan

Die Ansetzung von Qius Achtelfinalspiel allerdings „ist eine Katastrophe“, konstatierte Qiu zurecht. Erst nach elf verließ der gebürtige Nürtinger nach dem letzten Duell des Abends die Halle. Am Donnerstag wird er um 11.40 Uhr gleich eine der ersten Partien absolvieren. Sein Gegner dabei ist ausgerechnet der Dauer-Weltranglistenerste Fan Zhendong.

Das kann man nicht Fairplay nennen. Er spielt jeden Tag um 11.40 Uhr, ich gefühlt immer abends um elf. Dazwischen liegen schon ein paar Stunden. Diese Umstände tun weh, auch wenn ich mich riesig auf das Spiel freue.“ Der Düsseldorfer stellte vor seinem ersten Vergleich mit dem Chinesen klar: „Ich will das Spiel nicht nur genießen, ich will es gewinnen. Schließlich sind wir bei einer Weltmeisterschaft, und das hier ist das Achtelfinale! Da will ich meine beste Leistung zeigen und hoffentlich siegreich rausgehen.“

Franziska und Ovtcharov bestehen gegen das an Position drei gesetzte Doppel

Noch einen zweiten Erfolg feierten die Herren des Bundestrainer-Teams um Jörg Roßkopf und Lars Hielscher an diesem Tag. Im Herren-Doppel brillierten Patrick Franziska und Dimitrij Ovtcharov sowohl spielerisch als auch mental. Gegen die an Position drei gesetzten Japaner Shunsuke Togami/Yukiya Uda verwandelten sie einen 1:2-Satzrückstand in einen Fünf-Satz-Sieg und treffen im Viertelfinale am Donnerstagnachmittag auf das eingespielte englische Duo Paul Drinkhall/Liam Pitchford.

Der Einzug in die Runde der besten Acht der deutschen Kombination, die nur wegen des kurzfristigen Ausfalls des verletzten Timo Boll zustande gekommen war, war wohl von kaum einem WM-Beobachter vorhergesagt worden. Dima Ovtcharov allerdings hatte den richtigen Riecher, wie Patrick Franziska am Mittwoch verriet: „Als Dima unsere Auslosung gesehen hat, hat er zum Spaß gesagt: ‚Wir werden Vize-Weltmeister.‘ Natürlich wirklich zum Spaß, weil wir auf jede einzelne Runde fokussiert sind.“ Denn erst im Finale träfen die Viertelfinalisten der German Open von 2020, ihrem zuvor einzigen gemeinsamen Auftritt, auf eines der überirdischen chinesischen Doppel, Fan Zhendong/Wang Chuqin oder Lin Shindong/Lin Gaoyuan aus der oberen Hälfte des Tableaus.

Bittere Niederlagen im Einzel für Franziska und Ovtcharov, auch Filus und Shan draußen

Der Sieg im Doppel überdeckte allerdings kaum die bitteren Sieben-Satz-Niederlagen der beiden im Einzel. Ovtcharov unterlag dem kroatischen Weltranglisten-45. Tomislav Pucar, nachdem der ehemalige World-Cup-Sieger „weit unter meinen Möglichkeiten gespielt“ (Zitat Ovtcharov) hatte. Franziska musste sich dem aktuell besten Portugiesen auf der Tour, Joao Geraldo, beugen, dem er eine hervorragende Leistung attestierte. „Heute hat er super Rückschläge gespielt, super kurz gelegt oder die Banane gespielt. Er hat mir nach meinem Aufschlag keine einfachen Bälle gegeben“, so der WM-Dritte im Mixed von 2019. „Ich fand mich eigentlich nicht schlecht. Nur hat er heute sehr stark gespielt.“

Das Aus von Ruwen Filus gegen den Olympia-Vierten von Tokio, Lin Yun-Ju aus Taiwan, sowie von Xiaona Shan gegen Chinas Olympiasiegerin Chen Meng war dagegen kalkuliert, wobei sich vor allem Filus mehr erhofft hatte als ein 0:4. Beim WTT Contender Almaty im vergangenen Jahr hatte er Lin im Finale schließlich noch besiegen können. „Ich glaube, dass ich heute zumindest kleine Chancen hatte“, kommentierte der Publikumsliebling mit den spektakulären Defensivkünsten. Nach 4:8-Rückstand konnte er eine 10:8-Führung nicht zum Gewinn des ersten Durchgangs nutzen, kam insgesamt erst spät richtig in Fahrt. „Im vierten Satz hatte ich das Niveau, auf dem ich von Anfang an hätte spielen sollen. Da hatte er mit dem 3:0 im Rücken aber schon zu großes Selbstvertrauen.“

Wie Filus erfüllt mit der dritten Runde auch die beste Bundesligaspielerin der aktuellen Saison Xiaona Shan in Durban ihre Setzung. „Im Einzel in der Runde der letzten 32 gegen Chen Meng zu verlieren, ist okay“, bilanzierte sie. „Im Mixed und Doppel hätte ich aber gerne länger im Turnier gestanden.“

Die Spiele der Deutschen am Mittwoch

Damen-Einzel, 3. Runde (32)
Nina Mittelham – Li Yu Jhun TPE 4:0 (7,7,9,4)
Ying Han – Andreea Dragoman ROU 4:0 (5,3,3,6)
Xiaona Shan – Chen Meng CHN 0:4 (2,6,4,2)

Herren-Einzel, 3. Runde (32)
Dang Qiu – Felix Lebrun FRA 4:2 (7,8,-8,-8,8,9)
Patrick Franziska – Joao Geraldo POR 3:4 (4,-7,-15,-8,10,7,-6)
Ruwen Filus – Lin Yun-Ju TPE 0:4 (-11,-5,-6,-8)
Dimitrij Ovtcharov – Tomislav Pucar CRO 3:4 (-9,8,9,-9,-7,6,-6)

Damen-Doppel, Achtelfinale
Annett Kaufmann/Sabine Winter – Cheng I-Ching/Li Yu-Jhun TPE 0:3 (-7,-7,-7)

Herren-Doppel, Achtelfinale
Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov – Shunsuke Togami/Yukiya Uda JPN 3:2 (7,-6,-10,6,8)

Die Spiele der Deutschen am Donnerstag

Achtelfinale am Donnerstag
Dang Qiu – Fan Zhendong CHN, 11.40 Uhr

Damen-Einzel, Achtelfinale
Nina Mittelham – Wang Manyu CHN, 15 Uhr
Ying Han – Tatiana Kukulkova SVK, 20.30 Uhr

Herren-Doppel, Viertelfinale
Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov – Paul Drinkhall/Liam Pitchford ENG, 15.40 Uhr

Links

Deutsche Delegation in Durban

Einzel-Wettbewerbe

Damen: Ying Han (KTS Tarnobrzeg, Polen), Nina Mittelham (ttc berlin eastside), Xiaona Shan (ttc berlin eastside), Sabine Winter (TSV Schwabhausen), Annett Kaufmann (SV Böblingen)
Herren: Dang Qiu (Borussia Düsseldorf), Dimitrij Ovtcharov (TTC Neu-Ulm), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ruwen Filus (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)

Doppel-Wettbewerbe

  • Damen: Nina Mittelham/Xiaona Shan, Annett Kaufmann/Sabine Winter
  • Herren: Benedikt Duda/Dang Qiu, Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov
  • Mixed: Dang Qiu/Nina Mittelham, Patrick Franziska/Xiaona Shan                                 

Sportliche Leitung: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainerteam: Tamara Boros (Bundestrainerin Damen), Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Lars Hielscher (Cheftrainer Düsseldorf), Xiaoyong Zhu (Bundesstützpunkttrainer), Sascha Nimtz (Experte für Videoanalysen, Wissenschaftskoordinator IAT Leipzig)
Medizinische Abteilung: Dr. Antonius Kass (Teamarzt), Dr. Christian Zepp (Sportpsychologischer Experte), Peter Heckert, Annette Zischka (Physiotherapeuten, OSP Hessen in Frankfurt/Main)
Organisationsleiter: Rainer Kruschel (Leiter Referat Leistungssport)

Weitere DTTB-Vertreter:
Dr. Torsten Küneth (Equipment Committee)
Schiedsrichter: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Kerstin Duchatz (Herne)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst, Manfred Schillings (beide DTTB)

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