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AUF DEM WEG NACH TOKIO

. . . mit Malte Jakschik und Olaf Roggensack - von Hans Strauß

HANNOVER. Die Olympischen Spiele von Tokio rücken näher. Sieben Boote des Deutschen Ruderverbandes haben sich für die olympische Regatta vom 23. bis 30. Juli 2021 auf dem Sea Forest Waterway qualifiziert. In Doppel-Interviews stellen wir bis dahin alle DRV-Olympia-Boote vor. Für die vierte Ausgabe der Serie haben wir uns mit Malte Jakschik (Ruderverein Rauxel von 1922) und Olaf Roggensack (RC Tegel) aus dem Deutschlandachter unterhalten, der wie immer zu den großen Medaillenhoffnungen bei den Spielen zählt. Jakschik gehört zusammen mit Hannes Ocik, Richard Schmidt und Steuermann Martin Sauer zu den drei erfahrenen Athleten, die bereits bei den letzten Olympischen Spielen 2016 im Boot saßen. Roggensack bekam erst im letzten Jahr einen festen Rollsitz im Achter. Im Interview sprechen beide über die Besonderheiten im Paradeboot, darüber, wie der schlechte Saisonstart verarbeitet wurde, und warum es gut ist, dass es Videotelefonie gibt.

Ich würde gerne mit drei Thesen zum Deutschlandachter starten und Dich, Malte, als dem Erfahrenen von Euch beiden bitten, sie zu kommentieren. Hier die erste These: Verlieren ist verboten, und schon der zweite Platz ist eine Niederlage…

Malte Jakschik: Hm, das ist so nicht korrekt. Den Eindruck konnte man in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren vielleicht bekommen, weil es echt gut lief. Für mich ist es immer entscheidend, dass man all das abgerufen hat, was man trainiert hat, dann ist auch Platz zwei keine Niederlage.

Die zweite These: Der Leistungsdruck ist hoch im Achter, und das Trainingspensum ist enorm.

Malte: Das passt schon ganz gut. Der Achter ist das Boot, das intern am stärksten im Fokus steht, und weil wir jedes Jahr eine neue Selektion machen, ist der Leistungsdruck schon hoch. Ich kann nicht sagen wie viel die anderen Boote trainieren, aber aus meiner Perspektive ist der Aufwand schon sehr hoch.

Und die dritte These: Nur mit den höchsten Ansprüchen an sich selbst kommt man mit dem Achter zum Ziel.

Malte: Das ist auch zutreffend. Es hat uns in den letzten Jahren mit nach vorne gebracht, dass wir akribisch auch an den Kleinigkeiten arbeiten. Nach dem verpatzten Saisonstart etwa haben wir an allen Stellschrauben gedreht und nochmal alles auf den Prüfstand gestellt, um herauszufinden, wo wir vielleicht etwas liegen gelassen haben.

Olaf, Du bist am kürzesten dabei. Woran musstest Du dich gewöhnen, als Du 2019 in den Kader aufgenommen wurdest und 2020 einen festen Platz im Boot bekamst?

Olaf Roggensack: Technisch musste ich einiges aufholen. Wenn Du in ein Boot kommst, das so zusammengefahren ist, dann bist Du technisch erst einmal der Außenseiter. Aber das war`s schon. Ich war ja schon länger in Dortmund und habe schon im U-23-Bereich mittrainiert. Dort wird wie im A-Bereich gearbeitet und so konnte ich mich gut reinfinden.

Das letzte Jahr verlief turbulent für Dich. Du wurdest Stammkraft, doch Olympia wurde wenig später verschoben. Dann bist Du beim Radtraining gestürzt und wegen einer Schulteroperation lange ausgefallen. Nicht so einfach, das alles…

Olaf: Das stimmt, es war schon echt heftig für mich. Nach meinem Sturz auf die Schulter bin ich lange ausgefallen und elf Wochen nicht mehr im Boot gewesen. Ich konnte mich zwar wieder zurückkämpfen, aber viel Zeit bis zur EM war nicht mehr. Dort habe ich meinen ersten Titel mit dem Achter gewinnen können, aber nach der EM war ich einer von drei Corona-Fällen im Achter. Da kommst Du schon ins Nachdenken: Schon wieder trifft`s mich! Wie geht es weiter? Schaffe ich es wieder hinein ins Boot? Umso glücklicher bin ich, dass ich weiter dabei bin.


Für mich ist es immer entscheidend, dass man all das abgerufen hat, was man trainiert hat, dann ist auch Platz zwei keine Niederlage.“

Achter-Ruderer Malte Jakschik


Malte, der vierte Platz bei der diesjährigen EM in Varese war ein Schock für alle Beteiligten und hat in der Öffentlichkeit, die Rudern vor allem mit Siegen des Deutschlandachters verbindet, zumindest Erstaunen erzeugt. Wie hast Du dich danach gefühlt und wie hat das Team das Abschneiden direkt verarbeitet?

Malte: Danach waren wir alle mächtig enttäuscht und zuerst ein wenig sprachlos. Vorausgegangen war ein Jahr fast ohne Wettkampf, der Vergleich mit den anderen Nationen fehlte. Zum Glück war der Zeitpunkt zu Beginn der Saison noch relativ günstig. Wir haben uns danach Zeit genommen, um das Rennen zu analysieren und zu besprechen, was wir verändern und verbessern können. Und was in der Vorbereitung vielleicht nicht so gut geklappt hat. Da sind auch ein paar Sachen auf den Tisch gekommen, die manch einer mit sich herumgeschleppt hat. Ich glaube, das war gut. Wir hatten auch genügend Zeit, um ein paar Sachen umzustellen. So wie die Saison nach der EM gelaufen ist, haben wir an den richtigen Dingen gearbeitet – auch wenn wir noch nicht fertig sind. In den Trainingslagern wollen wir noch einiges draufpacken.

Wie viel Prozent müsst Ihr noch zulegen, um in Tokio bei voller Leistungsfähigkeit zu sein?

Malte: In Prozenten ist das immer schwer zu sagen. Zuletzt beim Weltcup in Saubaudia hatten wir nur ein Boot als Gegner, dass sich zudem nicht für die Spiele qualifiziert hatte. Wir haben Italien zwar besiegt, aber das sagt nicht viel aus. In Luzern waren wir nur drei Hundertstel hinter den Briten, das war schon eher ein Maßstab. Wir sind uns aber auch alle einig, dass wir jetzt noch einmal die Möglichkeit haben, uns das ein oder andere Prozent zu erarbeiten. Im Training merkt man, dass das alle so sehen. 

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Derzeit befindet sich der Männer-Achter in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung in Völkermarkt, Österreich. Foto: DRV/Schurwanz

Weil das IOC die Teilnehmerzahlen knapp hält, können in Tokio lediglich sieben Achter an den Start gehen. Ist das nicht seltsam, wenn nur ein Boot vor dem Finale ausscheidet?

Olaf: Wir versuchen auf jeden Fall, nicht dieses Boot zu sein (grinst). Die Meldeergebnisse bei den Achtern sind häufig so gering, insofern ist das nichts Neues für uns.

Malte: Man darf auch nicht vergessen, wie viele Ruderer für einen Achter gebraucht werden. Wenn im Einer 26 Meldungen da sind, sagen alle, wow, das ist aber ein Feld. Da brauchen wir drei Achter dafür, dann liegen genauso viele Athleten an der Startbrücke. Ich kann das IOC also ein Stück weit verstehen, dass es die Personenzahl zum Maßstab macht. Für unseren Sport ist es natürlich schade. Das kleine Feld bei den Spielen hat dazu geführt, dass wir auch in der Weltcup-Saison so wenige Meldungen hatten. Corona spielte dabei aber sicher auch eine Rolle. 2016 in Rio durften auch nur sieben Achter starten. Auch damals hatten wir vorher keinen Weltcup, in dem es Vorläufe gab, sondern nur Bahnverteilungsrennen.  

Malte, Du hast dein Studium im vergangenen Jahr abgeschlossen. Möchtest Du nach den Olympischen Spielen beginnen, in Deinem Beruf als Maschinenbauingenieur zu arbeiten? Und ist dann Rudern im Achter noch möglich?

Malte: Den Plan, in den Beruf einzusteigen, gibt es auf jeden Fall. Ich hatte vergangenes Jahr schon vor, mich nach dem Abschluss des Studiums im Frühjahr noch ein halbes Jahr voll auf den Leistungssport zu konzentrieren und danach dann in das Berufsleben zu starten. Durch die Verschiebung der Spiele hat sich das verlängert, aber ich bin schon dabei, mich auf verschiedene Stellen zu bewerben. Für mich ist nach den Spielen wahrscheinlich Schluss mit dem Rudern, zumal ich auch noch eine kleine Familie zu Hause habe.


2020 war schon echt heftig für mich. Nach meinem Sturz bin ich elf Wochen nicht mehr im Boot gewesen. Umso glücklicher bin ich, dass ich weiter dabei bin.“

Achter-Ruderer Olaf Roggensack


Nach Silber in Rio wäre der Abschied mit der Goldmedaille also der krönende Abschluss deiner Sportler-Karriere.

Malte: Das wäre der große Traum (grinst). Da haben wir jetzt noch ein paar Wochen Zeit, um dafür alles zu geben.

Wie ist die Zielsetzung für deine ersten Olympischen Spiele, Olaf? Womit möchtest Du nach Hause kommen?

Olaf: Am liebsten mit einer Goldmedaille, natürlich. Da setzte ich alles dran gerade. Dafür habe ich auch die Unterstützung der Bundespolizei, meines Arbeitgebers, mit großzügiger Freistellung. Für mich ist es natürlich schon super, überhaupt dabei zu sein, im Paradeboot des Riemenbereichs.

Olaf, wie man hört, wimmelt es in deiner Wohnung nur so von selbstgezogenen Pflanzen?

Olaf: Wimmeln tut es noch nicht, aber ich bin auf einem guten Weg. Ich habe das Hobby der Gärtnerei für mich entdeckt – auch wenn ich noch keinen eigenen Garten habe. Ein Zitronenbaum steht schon bei meiner Freundin und mir, Avocados, auch selbst gezogen, und auf dem Balkon wachsen viele Kräuter. Alles Dinge, die man auch zum Essen nutzen kann. 

Malte, Du bist im vergangenen Jahr Vater eines Sohnes geworden und damit der zweite Papa im Achter nach Richard Schmidt. Immerhin dürftest Du wegen der Olympia-Verschiebung etwas mehr Zeit für ihn gehabt haben.

Malte: Das auf jeden Fall. Daheim konnte ich das alles vergessen und die Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn genießen. Die vielen Trainingslager seitdem und die Trennungen von der Familie liegen mir schon schwer im Magen, aber für das große Ziel machen wir das jetzt noch mal mit. Zum Glück nimmt mich Emil schon über Videotelefonie wahr und weiß, dass ich nicht aus der Welt bin.

 

Zu den Personen

Malte Jakschick ist 27 Jahre alt, 1,94 m groß und 93 kg schwer. Er rudert seit 2014 an Backbord im Deutschlandachter, mit dem er 2016 die olympische Silbermedaille gewann, drei Mal Weltmeister und sieben Mal Europameister wurde. Er wurde in Bonn geboren, ist verheiratet, Vater eines Sohnes, wohnt in Dortmund und hat ein Studium zum Maschinenbau-Ingenieur an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossen.

Olaf Roggensack ist 24 Jahre alt, 1,94 m groß und 91 kg schwer. Er rudert seit 2020 an Steuerbord im Deutschlandachter, mit dem er 2020 Europameister wurde. Roggensack kommt aus Berlin, wohnt in Dortmund und ist Polizeimeisteranwärter bei der Bundespolizei.

Bereits erschienene Interviews: Jason Osborne und Jonathan Rommelmann, Frieda Hämmerling und Carlotta Nwajide, Oliver und Heino Zeidler.

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