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ZWISCHEN SORGENFALTEN UND VORFREUDE

\\ von Stefanie Bücheler-Sandmeier - DBV

FRECHEN.  50 Tage bis zu den Paralympics in Peking: Viele Fragen und Hürden dominieren die Vorbereitung auf die Spiele und dämpfen die Euphorie – Leonie Walter möchte ihre Paralympics-Premiere erleben – Beucher: „Es ist und bleibt das größte Sportereignis für Menschen mit Behinderung“

Am 4. März werden in Peking die Winter-Paralympics eröffnet. Es sind die zweiten Spiele unter Pandemie-Bedingungen. Trotz strenger Corona-Restriktionen und gedämpfter Euphorie sehen DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher und Chef de Mission Dr. Karl Quade das Team Deutschland Paralympics für die Reise gut vorbereitet. Die erstmals ausgetragenen Para Schneesport- Weltmeisterschaften in Lillehammer sollen ab heute als Generalprobe Lust auf die Spiele machen.

50 Tage vor dem Beginn der Paralympischen Spiele kristallisiert sich bereits heraus, dass Deutschland mit einem „erfreulich großen Team“ nach China reisen wird – trotz der verpassten Qualifikation der Nationalmannschaften Para Eishockey und Rollstuhlcurling. Im nordischen Skibereich wird es voraussichtlich 14 Startplätze geben, im alpinen sieben und die Para Snowboarder haben drei Slots ergattert. „Das ist mehr als in PyeongChang und Sotschi. Darüber freuen wir uns und ich hoffe, dass wir alle Plätze besetzen können“, sagt Dr. Karl Quade. Hinzu kommen einige Guides in den Sportarten Para Ski nordisch und Para Ski alpin. Der 67-Jährige, seit 1996 als Chef de Mission bei Paralympics dabei, geht davon aus, dass für das deutsche Team insgesamt 70 bis 75 Personen inklusive der Delegation nach Asien reisen.

Aktuell laufen im Rahmen der Para Schneesport-WM die letzten Qualifikationen. Im norwegischen Lillehammer kämpfen bis zum 23. Januar die alpinen und nordischen Para Skisportler*innen sowie Para Snowboarder bei den Weltmeisterschaften um Medaillen, gute Resultate und die Besetzung der Startplätze für die Paralympics. Die Para Biathleten und Langläufer starten in Lillehammer, in Hafjell – nur 15 Kilometer entfernt – laufen die Para Ski alpin- und Snowboard-Wettbewerbe.

Leonie Walter will sich bei der WM für ihre erste Paralympics-Teilnahme empfehlen

Am Start ist mit Leonie Walter eine der deutschen Nachwuchs-Hoffnungen, die sich mit guten WM-Ergebnissen für eine Peking-Nominierung empfehlen möchte. Für die 17-jährige Para Biathletin und Langläuferin vom Skiclub St. Peter im Hochschwarzwald wären es ihre ersten Spiele. „Allein die Vorstellung ist schon ein Traum. Darauf arbeitet man als Sportlerin sein Leben lang hin. Ich hoffe sehr, dass es klappt“, sagt die Zwölftklässlerin, die sich nach den Paralympics das Fachabitur vorgenommen hat. „Auch wenn sportlich betrachtet die besten Ergebnisse vielleicht erst in ein paar Jahren kommen, möchte ich unbedingt und so oft wie möglich dabei sein.“ Und dafür nimmt Leonie Walter in Sachen Training und Lernen einiges auf sich.

Mit ihrem dritten Platz beim Weltcup-Auftakt im kanadischen Canmore im Dezember hat sie in der Klasse der Sehbehinderten mit ihrem Guide Pirmin Strecker aufhorchen lassen. In Lillehammer will sie nun ihre Leistung bestätigen. Nach der coronabedingten Absage der Para Biathlon-WM im schwedischen Östersund 2020 und der Verschiebung 2021 freut sich Walter nun auf ihre erste WM-Teilnahme. „Es ist schön, endlich mal bei einer Weltmeisterschaft starten zu können. Zweimal war ich schon qualifiziert, beide Male hat es leider wegen Corona nicht geklappt.“

Dafür feiert sie in diesem Winter nun womöglich eine doppelte Premiere: erst bei der WM und dann bei den Paralympics. Wie sie das alles mit der Schule unter einen Hut bekommt? „Ich glaube, ich bin ziemlich ehrgeizig“, entgegnet Walter und lächelt. Auf eine Schulbefreiung im Dezember verzichtete sie, schrieb stattdessen verpasste Klausuren nach. „Ich wollte sie hinter mir und den Kopf frei haben“, sagt die 17-Jährige. „Es hätte nichts gebracht, zum Halbjahr in sämtlichen Fächern ohne Note dazustehen.“ Auch nach den Weihnachtsferien kehrte sie noch einmal in die Schule zurück und zog eine wichtige Prüfung vor. Am 11. Januar ging’s schließlich in den Flieger Richtung Norwegen. Nun will die Para Sportlerin bei den Weltmeisterschaften in Lillehammer alles geben.

Para Ski alpin: Corona-Hürden, Umbruch im Team und größere internationale Konkurrenz

Gleiches gilt für die Para Ski alpin-Nationalmannschaft von Bundestrainer Justus Wolf. Mit der WM und den Paralympics stehen für die von ihm betreuten Athletinnen und Athleten ebenfalls zwei Höhepunkte in Folge auf dem Programm. In so einem wichtigen Winter ist die sportliche Vorbereitung an sich schon aufwendig genug – und man möchte sich eigentlich voll auf das Training konzentrieren. Das Gegenteil ist aber der Fall. „Die Hälfte meiner Zeit geht aktuell für Covid drauf“, rechnet Wolf vor, der penibel darauf achtet, dass sich seine Sportler schützen und an die Hygiene-Maßnahmen halten. Niemand soll noch kurzfristig ausfallen. „Man muss an so viele Dinge denken. Tausend Fragen rund um Tests, Regularien und Bestimmungen sind zu beantworten. Inzwischen kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie einfach es früher war, zu Wettkämpfen zu reisen. Ab ins Auto und los – unvorstellbar.“

Auch bei Wolf, für den es die dritten Paralympics als Bundestrainer sind, schwingen Bedenken mit. „Die Vorfreude hält sich ehrlich gesagt ziemlich in Grenzen. Ich bin eher besorgt und hoffe, dass wir vor Ort niemanden haben, der Corona-positiv ist oder Kontakt zu einer positiv getesteten Person hatte. Wir kennen die Erzählungen von Sportlern hinsichtlich der Quarantäne-Bestimmungen, die zu Test-Wettkämpfen in China waren. Was wir da zu hören bekamen, ist leider nicht gerade erfreulich.“

Was die rein sportliche Vorbereitung angeht, ist der 38-Jährige durchaus zufrieden. Nach den Spielen in PyeongChang hatten Leistungsträger und langjährige Erfolgsgaranten wie Anna Schaffelhuber ihre Karriere beendet. Das Team mit hoffnungsvollen Talenten befindet sich seitdem in einem Umbruch. „Nun wird es interessant sein zu sehen, wo wir stehen“, sagt Wolf.

Die Pandemie und damit verbundene Reisebeschränkungen machten Vergleiche vielfach schwierig. Überdies ist in einigen Klassen die Konkurrenz in den vergangenen vier Jahren deutlich gewachsen. „Das ist sehr erfreulich, weil es die Wertigkeit der Disziplinen steigert, aber es bedeutet zugleich, dass die Spitze enger zusammengerückt ist.“ Bei den Frauen stehen Anna-Lena Forster (sitzende Klasse) sowie Anna-Maria Rieder, Andrea Rothfuss (stehende Klasse) und Noemi Ristau mit Guide Paula Brenzel (sehbehinderte Klasse) im Fokus. Von ihnen erwartet der Bundestrainer Top-Leistungen. „Zwischen einer Medaille und Platz sechs ist alles möglich. Wenn wir am Ende fünf Medaillen und mehr aus China mitbringen, wäre das ein toller Erfolg“, sagt Wolf, der bei den Herren Christoph Glötzner und Leander Kress (beide stehende Klasse) Chancen auf einen Start in Peking einräumt.

Nominierung des Team Deutschland Paralympics für Peking 2022 wird am 28. Januar verkündet

Am 28. Januar – wenige Tage vor dem Beginn der Olympischen Spielen – wird feststehen, wer Deutschland vom 4. bis 13. März bei den Paralympics vertreten darf. Dann gibt der Deutsche Behindertensportverband (DBS) die offizielle Nominierung bekannt und will ein schlagkräftiges Team Deutschland Paralympics zu den Spielen schicken. „Im Medaillenspiegel streben wir einen Platz unter den besten zehn Nationen an, aber das wird deutlich schwieriger als in den vergangenen Jahren. Dazu fehlen uns im alpinen Bereich Kräfte wie Anna Schaffelhuber, die kontinuierlich ganz vorne dabei waren“, sagt Quade, der auch Vizepräsident Leistungssport im DBS ist. Für die Para Ski nordisch-Nationalmannschaft wird das Ringen um Edelmetall ebenfalls immer umkämpfter, zumal die mehrfachen Paralympics-Medaillengewinnerinnen Andrea Eskau und Clara Klug in der Vorbereitung gesundheitliche Probleme plagten und beide die WM daher verpassen. Im Para Snowboard geht es darum, Erfahrungen zu sammeln und sich an die Weltspitze heranzutasten, in den Sportarten Para Eishockey und Rollstuhlcurling ist das deutsche Team nicht vertreten.

Wie die Spiele in Peking vor Ort sicher ablaufen sollen, regeln sogenannte Playbooks – quasi große Hygienekonzepte und Handlungsanweisungen für alle Menschen, die an den Spielen teilnehmen. Dazu zählen Smartphones mit Apps, um den Gesundheitszustand einzutragen, kurze Essenszeiten vor Ort oder tägliche Tests. „Wir haben in Tokio bereits Spiele unter Corona-Bedingungen erlebt. Diese werden in Peking mindestens so reglementiert sein, wenn in einigen Bereichen nicht sogar noch strenger“, befürchtet Quade. „Ungeachtet der Medaillen ist es ein wichtiges Ziel, dass das gesamte Team gesund wieder in der Heimat ankommt.“

Die Sommer-Paralympics haben gezeigt, dass die Rahmenbedingungen für Sportler*innen und ihre Teams kaum Spielraum und Möglichkeiten bieten. Das wird in China wohl nicht anders sein. Allerdings mit dem Unterschied, dass es statt vieler kleiner sogenannter „Bubbles“ in China drei große „Blasen“ entsprechend der drei Wettkampfstandorte geben wird. „Das war in Tokio anders, wo man zwischen Sportstätte und Paralympischem Dorf ständig eine Blase verlassen und wieder in eine neue eintreten musste.“ Tokio habe gezeigt, dass tägliche Tests und die vielen Maßnahmen Zeit und Nerven kosten. Als Folge der Pandemie fehlten in Peking die Vor-Ort-Besichtigungen, die im Vorfeld ein Gefühl für Entfernungen und Gegebenheiten vermitteln sollen. „Die virtuellen Rundgänge haben leider nicht die gewünschten Erkenntnisse geliefert“, betont Quade, der sich und seine Mannschaft dennoch gut vorbereitet sieht. „Ich kann auf eine gewisse Erfahrung zurückgreifen und auf ein gutes wie eingespieltes Team vertrauen. Aber klar: Das kann man noch so oft mitgemacht haben, diese Spiele bieten wieder neue Herausforderungen.“

Friedhelm Julius Beucher: „Durch sportliche Boykotte hat es bisher noch nie eine Veränderung gegeben“

Das sieht auch Friedhelm Julius Beucher so, der das Team Deutschland Paralympics inzwischen zum siebten Mal als Delegationsleiter anführt. Wer ihn kennt, weiß: Der Präsident freut sich trotz allem auf diese Wettkämpfe. „Die Vorfreude ist immer da, weil die Paralympics das größte Sportereignis sind und bleiben, an dem ein Sportler mit Behinderung teilnehmen kann. Nirgends sonst stehen unsere Athleten derart im Fokus. Daher sind die Paralympics sportlich ein absolutes Highlight, aber es mischen mit Blick auf Corona und den Austragungsort China auch große Sorgenfalten mit.“

Denn bis das Sportliche tatsächlich im Vordergrund steht, seien noch viele Fragen zu klären. Stichwort Quarantäne-Bestimmungen, Unterkünfte, Versorgung isolierter Athleten und die Kommunikation. Beucher erklärt es zur „großen Herausforderung für den Verband, die Unversehrtheit der Sportler und des gesamten Teams sicherzustellen. Ich fühle mich als Präsident verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle gesund zurückkommen.“ Der Impfschutz habe oberste Priorität und sei eine Frage der individuellen Verantwortung, wie der 75-Jährige betont. Daher reisen nach Peking nur Athlet*innen und Betreuer*innen, die vollständig – also mindestens zweimal – geimpft sind. Denn Ungeimpften droht nach der Einreise eine dreiwöchige Zimmer-Quarantäne, diese wolle man unter allen Umständen vermeiden. „Es würde also schlichtweg keinen Sinn machen, ohne vollständigen Impfstatus dort hinzufahren“.

Ausblenden könne Beucher auch nicht die politische Diskussion. „China ist unter Berücksichtigung der Menschenrechtslage ein Land, in das Olympische und Paralympische Spiele nicht hätten vergeben werden dürfen“, kritisiert der DBS-Präsident. Deutschland nehme dort an den Wettkämpfen teil, man dürfe aber nicht vergessen und verschweigen, was dort Menschen und Minderheiten zum Teil widerfährt. Beucher stellt klar: „Ich fahre nicht nach China, um Ärger zu machen, aber wenn ich gefragt werde, sage ich auch meine Meinung. Die Entscheidung, die Spiele dorthin zu vergeben, ist nicht mehr umkehrbar. Aber diejenigen, die sie getroffen haben, müssen sich gefallen lassen, dass sie darauf hingewiesen werden.“

Forderungen nach einem Boykott der Sportler*innen hält der Präsident für falsch und vertritt eine klare Haltung: „Es ist ohnehin schon schwer genug, zwischen politischem und sportlichem Boykott zu trennen. Letzteres steht nicht zur Diskussion und hat auch noch nie etwas bewirkt. Durch sportliche Boykotte hat es in der Vergangenheit noch nie eine Veränderung gegeben. Das ist Sache der Regierungen“, warnt Beucher. „Trotzdem fällt es schwer zu schweigen, zumal nach 2008 und den Sommerspielen in Peking positive Veränderungen in Aussicht gestellt wurden.“

Athletinnen wie Leonie Walter versuchen sich hingegen, ganz auf ihren Sport zu konzentrieren. Trotz der besonderen Umstände in China verspürt die 17-Jährige Vorfreude, wenn sie an ihr mögliches Debüt denkt: „Es ist natürlich sehr schade, dass es kein Deutsches Haus gibt und keine ausländischen Zuschauer dabei sein dürfen, aber das wird sicher trotzdem ein super Erlebnis.“

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